Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

§ 24. Österreich, Böhmen und Ungarn 
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stellen, denen die „jüdische Verfassung“ mit dem Inbegriff antijüdi 
scher Kirchenkanons gleichbedeutend war. So kam es hier ebenso wie 
in Österreich bald dazu, daß die Geistlichkeit der weltlichen Ver 
fassung ihre eigene, die katholische, entgegensetzte. 
Im Jahre 1279 tagte in der ungarischen Hauptstadt Buda (Ofen) 
unter dem Vorsitz eines päpstlichen Legaten eine große Versammlung 
von Bischöfen und Geistlichen. Obwohl das Augenmerk dieses Kon 
zils in erster Linie auf die Festigung der geistlichen Gewalt in Un 
garn und auf die Christianisierung des mohammedanischen Teils der 
Bevölkerung gerichtet war, wurde nicht versäumt, auch der jüdischen 
Frage Aufmerksamkeit zuzuwenden. Gleich allen Nichtkatholiken 
wurde es auch den Juden untersagt, adeligen Grundbesitz in Pacht 
zu nehmen, da die Pachtung mit gewissen Machtbefugnissen Christen 
gegenüber verbunden war; Edelleute, die dieses Verbot mißachten 
würden, verfielen bis zu ihrem Rücktritt vom Pachtvertrag dem Kir 
chenbann; sollten sich Bischöfe eines solchen Verstoßes schuldig ma 
chen, so gingen sie ihrer Würde verlustig; zur Vermeidung jeglicher 
Annäherung zwischen Juden und Christen mußten alle jüdischen Lan 
deseinwohner, Männer wie Frauen, auf ihrem Obergewand den be 
rüchtigten roten Fleck tragen (den Muselmanen wurde ein ähnlicher 
Flecken aus gelbem Stoff auf genötigt). Dem ungarischen König 
Wladislaw IV. sagten indessen die vom Konzil gefaßten Beschlüsse 
nicht im entferntesten zu und er soll, einem Bericht zufolge, die ehr 
würdigen Väter vorzeitig nach Hause geschickt haben, mußte aber 
später nachgeben und sich zur Befolgung der Kirchenkanons förm 
lich verpflichten. Ob er seinen Verpflichtungen auch in der Tat nach 
gekommen ist, ist eine andere Frage: wenn selbst auf dem Konzil 
Bischöfe Bischöfen für die Verpachtung von Land an Juden Amts 
enthebung in Aussicht stellen mußten, um wieviel weniger stand da 
zu erwarten, daß die weltliche Gewalt den Kirchenregeln gewissen 
haft Folge leisten würde. Bis zum Sturze der Arpadendynastie (i3oi) 
erfreuten sich jedenfalls die ungarischen Juden der königlichen Pro 
tektion, mit deren Hilfe sie den Bestrebungen der Klerikalen, die sie 
zu Parias degradieren wollten, mit Erfolg Widerstand zu leisten ver 
mochten. Im XIV. Jahrhundert wurde jedoch auch für sie, ebenso 
wie für alle europäischen Juden, das Unheil unabwendbar.
	        
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