Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

§ 24. Österreich, Böhmen und Ungarn 
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seinem politischen Gegner, dem französischen König Philipp dem 
Schönen, die Anerkennung der Oberhoheit des römisch-deutschen Kai 
sers über die französischen Juden als über die Nachkommen der ein 
stigen Gefangenen des Yespasian und Titus verlangt haben. Hierauf 
hätte Philipp seine Rechtsberater versammelt und ihnen die Frage 
vorgelegt, ob derlei Forderungen des deutschen Kaisers hinlänglich 
begründet seien; als dies dann von den Rechtsgelehrten bejaht worden 
sei, hätte er den Befehl gegeben, den französischen Juden all ihr 
Hab und Gut wegzunehmen und sie nackt und entblößt zu ihrem 
Herrn Albrecht zu schicken. Diese Sage kennzeichnet in treffendster 
Weise die mittelalterlichen Anschauungen, die über die soziale Stel 
lung der Juden sowohl in Deutschland als auch in Frankreich ver 
breitet waren. 
§ 24. Die Juden zwischen Staat und Kirche in Österreich, Böhmen 
und Ungarn 
Aus den deutschen Stammlanden, aus Bayern und den rheinischen 
Provinzen, ergoß sich im XIII. Jahrhundert unausgesetzt ein Aus 
wandererstrom in die östlicher gelegenen Gebiete, nach dem Herzog 
tum Österreich. Nicht allein die Ungunst der Verhältnisse war es, die 
die Juden nach der Ostmark trieb, vielmehr übte die Donauhauptstadt 
Wien sowie die anderen Städte, die an der großen, Deutschland mit 
den slawischen Ländern verbindenden Handelsstraße gelegen waren, 
auch eine unmittelbare Anziehungskraft auf sie aus. Die österreichi 
schen Herzoge aus dem Hause Babenberg brachten den Juden in der 
ersten Hälfte des XIII. Jahrhunderts nicht weniger Wohlwollen ent 
gegen als ihre Vorgänger (Band IV, § 37). Jüdische Finanzmänner 
und Steuerpächter verfügten am Wiener Hofe über einen nicht un 
bedeutenden Einfluß, doch war die den jüdischen Steuereinnehmern 
im Widerspruch zu den Kirchenregeln verliehene Macht über die 
Christen diesen stets ein Dorn im Auge. Wir haben bereits gesehen, 
in welcher Weise Friedrich II., der Kaiser mit dem Januskopf, bei 
der Besetzung Wiens im Jahre 1287 auf diese „christlichen“ Ge 
fühlswallungen reagierte und wie er den Wienern dadurch entgegen 
zukommen suchte, daß er die „zur Knechtschaft verdammten Juden“ 
der Bekleidung öffentlicher Ämter für unwürdig erklärte (oben, 
§ 20). Nachdem jedoch der Herzog Friedrich der Streitbare Wien 
12 Dubnow, Weltgeschichte des jüdischen Volkes, Bd. V
	        
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