Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

Deutschland im XIII. Jahrhundert 
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legte aber in seiner Voreingenommenheit die ganze Schuld den Juden 
zur Last: sie benötigten, so hieß es, zu Heilzwecken christliches Blut 
und also wären sie es gewesen, die die Kinder des Müllers ermordet 
und das Haus zur Verwischung der Spuren in Brand gesteckt hätten; 
man wollte sogar gesehen haben, wie die Bösewichte das Blut in 
Lederschläuchen mit sich genommen hätten. Darauf wurden zweiund 
dreißig Mitglieder der jüdischen Gemeinde ergriffen und einem hoch 
notpeinlichen Verhör unterzogen; zwei von ihnen, die der Tortur ent 
gehen wollten, legten ein Geständnis über das nie begangene Ver 
brechen ab, worauf drei Tage später alle Verhafteten mitsamt ihren 
Frauen und Kindern von den wütenden Kreuzfahrern niedergemacht 
wurden. Friedrich II. weilte um jene Zeit in der Stadt Hagenau. Dort 
hin brachte man nun die exhumierten Leichen der ermordeten Kinder, 
um die Übeltat der Juden dem Kaiser in aller Anschaulichkeit vor 
Augen zu führen, und so die an ihnen geübte Justiz zu rechtfertigen. 
Die christliche Bevölkerung geriet beim Anblick der Leichen der „hei 
ligen Märtyrer“ in größte Erregung, der skeptische Kaiser sagte je 
doch in einer Anwandlung von Ekel: „Verscharret sie, sie sind zu 
nichts anderem mehr zu gebrauchen“. Nichtsdestoweniger sah er sich 
zur Beruhigung der aufgewühlten Volksmenge veranlaßt, die Sache 
von einer aus weltlichen und geistlichen Würdenträgern zusammen 
gesetzten Kommission untersuchen zu lassen. Die Kommission hatte 
die grundlegende Frage zu klären, wie weit der Volksglaube, daß die 
Juden christliche Kinder töteten, um deren Blut zu religiösen und 
sonstigen Zwecken zu verwenden, auf Wahrheit beruhe. Die Meinun 
gen der Kommissionsmitglieder gingen auseinander, indem die einen 
die Anschuldigung aufrechterhielten, während die anderen sie auf 
das bestimmteste verwarfen. Der Kaiser erklärte hierauf, er sei 
zwar von der völligen Unschuld der Juden auf Grund einschlägi 
ger Quellen durchaus überzeugt, wolle aber dennoch getaufte Ju 
den, die so verabscheuungswürdige Eigentümlichkeiten der von ihnen 
abgelehnten Glaubenslehre sicherlich nicht verschweigen würden, als 
Sachverständige vorladen. Die aus verschiedenen Orten zusammen 
berufenen Sachkundigen bezeugten nun einhellig, daß im jüdi 
schen Schrifttum keinerlei Hinweise auf die Verwendung von Men 
schenblut zu finden seien, daß vielmehr die Thora und der Talmud 
sogar den Genuß von blutigem Tierfleisch streng untersagen. Auf 
Grund dieses Gutachtens faßte und Unterzeichnete die aus Bischöfen,
	        
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