Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

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§ 20. Die Kammerknechtschaft unter Friedrich II. 
dem Ortsbischof „verpfändete“, indem er diesem als Sicherheit für ein 
von ihm erhaltenes Darlehen die Einkünfte aus der jüdischen Gemeinde 
zur Verfügung stellte; da jedoch der kaiserliche Schatz das „Pfand“ 
oft lange Zeit nicht einzulösen vermochte, so wurde der lehensherr 
liche Gläubiger zum unumschränkten Gebieter der ortsansässigen jü 
dischen Bevölkerung. Unter den gleichen Bedingungen wurde die Vor 
mundschaft über die Juden (der Judenschutz) häufig auch den Stadt 
behörden, den Vertretern der christlichen Bürgerschaft, abgetreten, 
die damals in Deutschland immer mehr als politische Macht in den 
Vordergrund trat. Das Vorrecht des „Judenschutzes“ wurde auf die 
Städte entweder unmittelbar vom Kaiser oder aber von dem Bischof 
des betreffenden Bistums übertragen. In den autonomen Provinzen 
lag das Los der Juden in den Händen der Herzoge, der Land- und 
Markgrafen; der Kaiser beschränkte sich hier darauf, nur bei den 
allerschwersten Katastrophen einzugreifen, als es galt, seine Schutz 
befohlenen vor weiteren Massenausschreitungen zu schützen. 
So war denn in Deutschland in derselben Zeit, da in Frankreich 
der Prozeß der Konzentration der Gewalt in den Händen des Königs 
bereits merkliche Fortschritte gemacht hatte, die Vormundschafts 
gewalt über die Juden zwischen Kaiser, Lehensherren und Stadtbehör 
den aufgeteilt. Indessen war die Lage der Juden auch unter der Ob 
hut dreier Vormünder keineswegs beneidenswert. Auf die tiefste Stufe 
der sozialen Leiter herabgedrückt, verfügten die Juden nur über jene 
Rechte, die ihnen als kümmerlicher Rest übriggeblieben waren, nach 
dem die höheren und mittleren Stände der christlichen Bevölkerung 
alle Freiheiten und Privilegien an sich gerissen hatten. Der Beruf, den 
sie von Rechts wegen noch ausüben durften, war einzig und allein der 
des Schutzes der Kaufmannsgilden beraubte Handel und namentlich 
das Kreditgeschäft. Die Verweigerung der Gewerbefreiheit verdammte 
die überdies auch noch mit allerlei willkürlichen Steuern und Ab 
gaben belasteten Juden zu einer wirtschaftlichen Scheinexistenz. Diese 
Notlage erfuhr eine weitere Verschärfung dadurch, daß Leben und 
Besitz der Juden stets in Gefahr schwebten, da in Deutschland, im 
Gegensatz zu Frankreich, das Unheil nicht von oben, sondern von 
unten drohte. Die auf dem Boden des religiösen Fanatismus üppig 
wuchernden Judenhetzen wurden in den deutschen Städten zu einer 
alltäglichen Erscheinung; gerichtliche Prozesse wegen angeblicher 
Ritualmorde und Sakramentsschändungen endeten mit Massenhinrich
	        
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