Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

§ 19. Das Auftauchen des „Sohar“ 
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jedoch durch die schwere Enttäuschung so sehr getroffen, daß sie 
zum Christentum übertraten und zum Teil sogar das seelische Gleich 
gewicht einbüßten. Der falsche Prophet aber war spurlos verschwun 
den. 
§19. Das Auftauchen des „Sohar“ 
Im XIII. Jahrhundert tauchten in den Konventikeln spanischer 
Kabbalisten die ersten Abschriften jenes geheimnisvollen Kommentars 
zur Bibel auf, der später unter dem Namen „Sohar“ („Glanz“) so 
tiefgreifende Wirkungen auslösen sollte. Das Buch war in Form eines 
haggadischen Midrasch abgefaßt und hatte Predigten und Belehrun 
gen des Rabbi Simon ben Jochai sowie anderer Tannaiten des II. Jahr 
hunderts zu seinem Inhalt, unterschied sich jedoch von den sonstigen 
Midraschwerken vor allem durch seine undurchdringliche Mystik, fer 
ner dadurch, daß viele der Belehrungen Simon ben Jochai in Form 
von Berichten über seine himmlischen Visionen und Offenbarungen 
in den Mund gelegt wurden, und endlich durch seinen eigenartigen 
aramäischen Stil. Man erzählte sich, die Abschriften seien von Ram- 
ban in Palästina, wohin er um 1267 übersiedelt war, auf gefunden 
und von dort nach Spanien gesandt worden; die Volkssage wollte 
ihrerseits wissen, daß die mysteriöse Schrift von Simon ben Jochai 
in den Jahren verfaßt worden sei, als er sich vor den Verfolgungen 
der Römer in einer galiläischen Höhle versteckt hielt, und daß sie 
dann viele Jahrhunderte lang an irgendeinem geheimen Orte ver 
borgen gewesen wäre, bis sie schließlich ans Tageslicht kam und den 
Weg nach Kastilien fand. Fest steht indessen nur, daß in der zweiten 
Hälfte des XIII. Jahrhunderts der kastilische Mäzen Todros Abulafia, 
ebenso wie die anderen obenerwähnten Kabbalisten, in ihren Wer 
ken — allerdings in hebräischer Sprache und ohne Quellenangabe — 
Gedankengänge entwickelten, die mit den später aus dem „Sohar“ 
bekannt gewordenen nicht nur inhaltlich, sondern zum Teil sogar 
wörtlich übereinstimmten. Mehr als die anderen scheint aus diesen 
„Geheimschriften“ der kastilische Kabbalist Moses ben Schemtob de 
Leon (um i2 5o—i3o5) geschöpft zu haben, dem es beschieden war, 
den „Sohar“ zur Heiligen Schrift der Kabbala zu erheben. 
In der kastilischen Provinz Leon zu Hause und mit der Familie 
des Todros Abulafia eng befreundet, betrieb Moses de Leon berufs 
mäßig die Vervielfältigung und Verbreitung kabbalistischer Werke. 
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