Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

Die geistigen Strömungen im XIII. Jahrhundert 
denden Buchstaben gründete, zu einem Buche zusammen („Buch von 
dem Buchstaben“). Er klagt darin über „die jüdischen Klügler, die da 
sagen: Was nützt uns die Berechnung der Namen Gottes? Wir wollen 
lieber unser Gold und Silber zählen“. Bittere Klage führt er auch 
über die Rabbiner, die sich nur mit der geoffenbarten, nicht aber mit 
der geheimen Lehre beschäftigen wollten. Über das Lebensende des 
ungestümen Phantasten ist nichts bekannt. Es sind uns von ihm meh 
rere kabbalistische Werke überliefert, deren veröffentlichte Teile ne 
ben allerlei Wahnideen auch manche tiefe Gedanken enthalten 1 ). 
Unter dem Einfluß der mystischen Predigten traten um dieselbe 
Zeit auch in Kastilien zwei falsche Propheten auf, die sich indessen 
nur als Vorläufer des Messias ausgaben: der eine im Bezirk von 
Segovia, der andere in der Stadt Avila (1295). Über den Propheten 
aus Avila ging die Mär um, er wäre des Lesens wie des Schreibens 
unkundig gewesen, bis ein Engel es ihn gelehrt und er so auf Ein 
gebung des Himmels sein Werk „Wunder der Weisheit“ niederge 
schrieben hätte. Der überspannte Schwärmer fand zahlreiche Anhän 
ger. Die kaltblütigeren Mitglieder der Gemeinde wandten sich hin 
gegen wiederum an Raschba mit der Anfrage, ob sie den propheti 
schen Verheißungen Glauben schenken sollten, worauf ihnen dieser 
den Rat erteilte, den angeblichen Wundertätern mit größtem Miß 
trauen zu begegnen. Indessen ließ sich das Volk von Avila durch 
keinerlei Ermahnungen zurückhalten: die leichtgläubige Menge fastete 
und verteilte freigebig Almosen in Erwartung der messianischen Wun 
der. An einem bestimmten Tage legten viele weiße Gewänder an und 
versammelten sich in der Synagoge, um die Klänge der messianischen 
Posaune zu vernehmen. Nach langem vergeblichen Warten verließen 
sie enttäuscht die Synagoge und bemerkten nun plötzlich an ihren 
Gewändern kleine Kreuze. Dieses „Wunder“ (wohl von den geschick 
ten Gegnern des falschen Propheten kunstvoll in Szene gesetzt) jagte 
der Mehrzahl der Verführten heilsamen Schrecken ein. Manche waren 
1 ) Der Titel und zum Teil auch der Inhalt eines der Werke des Abulafia: ,,Die 
sieben Wege der Thora“ („Scheba netiboth ha’thora“) erinnern an die berühmte 
Schrift „De septem gradibus contemplationis“ seines Zeitgenossen, des christlichen 
Mystikers Bonaventura, mit dem Abulafia auch persönlich zusammengekommen 
sein mag. Von den anderen Werken des Abulafia sind vollständig oder in Aus 
zügen die folgenden Schriften veröffentlicht: „Sefer ha’oth“ (Buch von dem 
Buchstaben oder dem Zeichen), „Chaje ha’olam haba“ (Das Leben in der künf 
tigen Welt), „Imre schefer“ (Herrliche Worte). 
i46
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.