Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

§ 18. Kabbala und messianische Schwärmerei 
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staben des hebräischen Alphabets erschaffen habe. Die Verbindung 
der Buchstaben zu geheimnisvollen Formeln der Gottesnamen („ze- 
rufe-schemoth“) verlieh dem Kundigen, wie die Mystiker meinten, 
die Kraft, Wunder zu wirken, und so redete sich denn Abulafia ein, 
daß auch er über eine solche Zauberkraft verfüge. Er begab sich nach 
Italien, um dort seine Lehre in Wort und Schrift zu verbreiten. Um 
diese Zeit verfiel er plötzlich auf den tollen Gedanken, durch die Ver 
mittlung der Kabbala das Christentum mit dem Judentum zu ver 
schmelzen. Eine Handhabe hierfür schien ihm die dem christlichen 
Trinitätsdogma verwandte Sefirothlehre zu bieten. Ursprünglich hatte 
allerdings Abulafia an dieser von ihm entdeckten Verwandtschaft 
selbst Anstoß genommen und den Anhängern der Sefirothlehre aus 
drücklich vor gehalten, daß „gleichwie die Christen Gott verdrei 
fachen, sie ihn verzehnfachen“; doch hinderte ihn dies nicht, später 
gerade diese Lehre als Mittel der Propaganda unter den Christen zu 
Hilfe zu nehmen. Im Jahre 1280 faßte der exaltierte Schwärmer den 
aberwitzigen Plan, den römischen Papst Nikolaus III. in seine Ent 
deckung von der Wesensverwandtschaft der „Sefirologie“ und der 
Christologie einzuweihen und ihn so zum jüdischen Glauben zu be 
kehren. Dieser Versuch sollte aber Abulafia teuer zu stehen kommen: 
er wurde in Suriano, in der Umgebung des päpstlichen Palastes, in 
den er trotz der scharfen Bewachung einzudringen suchte, verhaftet 
und nach Rom gebracht. Hier behielt man ihn achtundzwanzig Tage 
lang in Haft, gab ihn aber dann wieder frei. Darauf wandte er sich 
nach Sizilien, wo seine Exaltation den Höhepunkt erreichte: er gab 
sich für den Messias aus und behauptete, Gott selbst habe ihm „das 
Ende des Exils und den Anfang der Erlösung Israels“ offenbart 
(1284). Die Zeit der Erlösung sollte nach seiner Prophezeiung im 
Jahre 1290 anbrechen. Es fanden sich denn auch in Sizilien leicht 
gläubige Menschen, die sich für die Wahnideen des Abulafia be 
geisterten. Daraufhin wandten sich die besonneneren Vertreter der Ge 
meinde von Palermo an Ptaschba nach Barcelona, um bei ihm über 
den verdächtigen Propheten Auskunft einzuholen. In seiner Antwort 
teilte Raschba mit, daß er Abulafia schon lange als Schwärmer und 
Mystiker kenne. Der falsche Prophet sah sich genötigt, Sizilien zu 
verlassen und in der Nähe von Malta Zuflucht zu suchen. Hier faßte 
er im Jahre 1288 seine messianischen Weissagungen, die er auf apo 
kalyptische Visionen und auf Kombinationen der die Gottesnamen bil- 
10 Dubnow, Weltgeschichte des jüdischen Volkes, Bd. V
	        
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