Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

§ 1U. Die Maimonisten und ihre Gegner 
überhaupt, insonderheit aber mit den philosophischen Werken des 
Maimonides („More nebuchim“ und „Sefer ha’mada“) befaßten, wie 
auch über solche, die die Überlieferungen der Bibel und des Talmud 
in rationalistischem Geiste auszulegen wagten (zu Beginn des Jahres 
1232). Die Eiferer von Montpellier und Gerona fanden bei ihren Ge 
sinnungsgenossen in Nordfrankreich, wo von jeher die scholastische 
Geistesrichtung der Tossafisten vorherrschend war, ungeteilte Billi 
gung. Die Rabbiner des Nordens priesen den Eifer ihrer südlichen 
Verbündeten und erteilten dem gegen die Freidenker proklamierten 
Cherem ihre vorbehaltlose Sanktion. 
Die provenzalischen Maimonisten ließen sich indessen durch die 
Herausforderung nicht einschüchtern. Gleich ihren Gegnern erhoben 
auch sie das Banner der Religion und traten für den Mann in die 
Schranken, dem das Judentum nicht nur ein neues religionsphiloso 
phisches System, sondern zugleich einen neuen Talmud, einen zun 
Festigung des jüdischen Ritensystems geschaffenen Gesetzeskodex zu 
verdanken hatte. So zögerten denn die Gelehrten von Beziers, Lunel 
und Narbonne nicht, Salomo von Montpellier und seine beiden Genos 
sen, die das Andenken des großen Meisters beschimpft hatten, ihrer 
seits in den Bann zu tun und den von ihren Widersachern verhängten 
Cherem für null und nichtig zu erklären. Aus Südfrankreich griff der 
Streit auf Aragonien und Kastilien über. In Aragonien wurden näm 
lich durch den Bannstrahl der Konservativen viele einflußreiche Ge 
meindevertreter, Ärzte und Gelehrte, getroffen, von denen manche 
dem Hofe Jakobs I. nahestanden. Der königliche Arzt und „Alfaquim“ 
Bahiel Alkonstantini bewog nun die Gemeindehäupter von Saragossa, 
über die Antimaimonisten von Montpellier einen Gegencherem zu ver 
hängen (im Juli 1232). Zugleich richteten die Maimonisten von Sara 
gossa ein Rundschreiben an die übrigen Gemeinden Aragoniens mit 
dem Aufruf, „für Moses (Maimonides) und seine heilige Lehre in die 
Schranken zu treten, für jenen Moses, der uns aus dem Abgrunde der 
Unwissenheit, des Irrtums und der Torheit gezogen, um den Baum der 
Erkenntnis unter uns zu pflanzen“. Das Sendschreiben betonte ferner, 
daß die Altmeister des Judaismus das Studium der weltlichen Wissen 
schaften und der Religionsphilosophie nicht nur für zulässig, sondern 
sogar für verbindlich erklärt hätten, da die Juden sonst im Streite 
mit Andersgläubigen wehrlos dastehen würden; so sei es durchaus un 
umgänglich, in der Astronomie, Geometrie und in den anderen ange- 
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