Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

Die geistigen Strömungen im XIII. Jahrhundert 
riten abstreifen. Gleich den christlichen Bischöfen schoben auch die 
konservativen Rabbiner die ganze Schuld an den Verirrungen dem 
bösen Einfluß der Philosophie zu. Das Vordringen rationalistischer 
Ideen in das Gebiet der Religion drohte, wie sie glaubten, die „Zügel 
des Gesetzes“ immer mehr zu lockern. Das Bestreben des Maimonides, 
für jede der jüdischen Gesetzesvorschriften einen Vernunftgrund aus 
findig zu machen, unterwühle, meinten sie, die ganze Achtung vor die 
sen Gesetzen, da dadurch die Annahme nahegelegt werde, als seien 
religiöse Vorschriften, für die sich keine rationale Begründung an 
führen lasse, nebensächlich oder gar gänzlich überflüssig. „Maimoni 
des“ — so ließen sich die gemäßigteren Hüter des Gesetzes verneh 
men — „hat zwar die Wurzeln der Religion (die Dogmen) gekräftigt, 
ihre Zweige jedoch abgehauen“. Die jedem Kompromiß zwischen 
Glauben und Wissen abholden Fanatiker verstiegen sich aber zu der 
Behauptung, daß die Lehre des Maimonides den Judaismus sogar in 
seinen Wurzeln untergrabe. 
Die Hochburg der Konservativen war um jene Zeit die Stadt Mont 
pellier, die zu den Erbbesitzungen des aragonischen Königs Jakob I. 
gehörte. Hier eben sollte gegen die aus Spanien eindringenden libera 
len Ideen ein Damm errichtet werden. Das Werk wurde vom tatkräfti 
gen Talmudforscher Salomo ben Abraham vom Berge („Min ha’har“, 
d. h. aus Mont-pellier) in Angriff genommen. Besonders verurteilungs 
würdig erschien ihm die Mißachtung, die die Maimonisten der talmu- 
dischen Haggada entgegenbrachten, in der sie nichts als eine Menge 
poetischer Sagen erblickten; es kam ihm auch zu Gehör, daß manche 
von ihnen sogar in den biblischen Geschichten nicht wirkliche Ge 
schehnisse sehen wollten, sondern lediglich didaktische Erzählungen. 
Eine solche Auffassungsweise schien Salomo ben Abraham das ge 
schichtliche Fundament der Offenbarung und der an sie anknüpfen 
den Tradition ganz zu unterwühlen, und so ließ er sich in einen lang 
wierigen Streit mit den Anhängern des Maimonides in Montpellier ein, 
ohne diese jedoch umstimmen zu können. Die Polemik führte nur zu 
einer weiteren Verschärfung des Parteihaders. R. Salomo schlossen sich 
der Rabbiner von Gerona Jona Gerondi, der Verfasser eines bekann 
ten Traktats über die Buße, sowie ein gewisser David ben Saul an. 
Das dreigliedrige Rabbinerkollegium entschloß sich nun zu einem 
folgenschweren Schritt: es verhängte den „Cherem“ über alle diejeni 
gen, die sich mit Philosophie und mit „profanen Wissenschaften“ 
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