Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

§ iU. Die Maimonisten und ihre Gegner 
Talmudstudium abzulenken, zu manchen Ausfällen von orthodoxer 
Seite Anlaß (Band IV, § 49)* Namentlich war es das erste Buch des 
maimonidischen Kodex, das „Buch der Erkenntnis“, in dem die Dog 
matik des Judaismus im Lichte der Philosophie dargestellt wurde, das 
bei den Verfechtern des Althergebrachten auf schärfsten Widerspruch 
stoßen mußte, weil ihnen darin alle traditionellen Vorstellungen von 
der Gottheit, von den Wundern und vom Leben im Jenseits gleichsam 
zu blassen metaphysischen Abstraktionen degradiert schienen. In noch 
viel höherem Maße rief der „Führer der Irrenden“ ihre Empörung 
hervor, in welchem, dem bekannten mittelalterlichen Grundsatz zu 
wider, die Religion als Handlangerin der Philosophie erschien. Aber 
auch die weitsichtigeren unter den Orthodoxen erblickten in der 
Grundeinstellung der vom Geiste des Rationalismus getragenen mai 
monidischen Lehre eine Gefahr für den nationalen Judaismus. Und 
doch fand diese in den gebildeten Kreisen größten Anhang und be^- 
geisterte Verehrer. Besonders zahlreich waren sie in der Provence, in 
Kastilien und Aragonien vertreten, wo der „Führer“ in den hebräi 
schen Übersetzungen des Ibn Tibbon und des Dichters Alcharisi von 
Hand zu Hand ging und von den Freidenkern gleichsam als neue 
Offenbarung gepriesen wurde. Schon ein Menschenalter nach dem 
Tode des großen Meisters begann sich die liberale geistige Bewegung 
im Leben des Volkes weithin bemerkbar zu machen. Das Freidenker- 
tum trat hierbei nicht nur in der Gesinnung, sondern auch in Hand 
lungen, in der Mißachtung der religiösen Bräuche hervor. So unter 
nahm der französische Rabbiner Moses aus Coucy im Jahre 12 36 
eigens eine Reise nach Spanien, um diejenigen, die wichtige religiöse 
Riten (wie z. B. das Tefillin-, Zizith- und Mesusothgebot) außer acht 
ließen oder gar mit Christinnen in Ehe oder Konkubinat lebten 1 ), auf 
den rechten Weg zu weisen. Auch sein Zeitgenosse, der Pariser Bi 
schof Guillaume d’Auvergne, bezeugt die zunehmende Verbreitung der 
Irrlehren unter den Juden, besonders in dem ehemaligen sarazenischen 
Herrschaftsbereich in Spanien: „Viele schließen sich der Lehre von 
der Ewigkeit der Welt und den übrigen Verirrungen des Aristoteles 
an“, während andere das „unnütze Joch“ der Gesetze und Glaubens 
1 ) Klagen über das auch nach den Kirchenkanons strafwürdige Zusammen 
leben von Juden mit Christinnen in Aragonien sind außerdem in den amtlichen 
Urkunden aus der Zeit Jakobs I. häufig anzutreffen (Regne, Catalogue des actes, 
Nrn. 200, 206, 619 u. a.).
	        
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