Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (4, Europäische Periode ; Das frühere Mittelalter / 1926)

Die Periode der Kolonisierung 
Eine kurze Atempause wurde den Juden während der Regierung 
des Chindasswint (642—649) zuteil, der nach einem langwierigen 
Bürgerkriege gegen den Willen eines erheblichen Teiles der Geist 
lichkeit zur Herrschaft gelangt war. Dieser König hatte es nicht 
nötig, um die Gunst des Kirchenparlaments von Toledo zu buhlen, 
und so gab er ihm auch keinerlei eidliche Versprechungen, gegen das 
Judentum gewalttätig vorzugehen. Er scheint den Wiederanschluß 
der durch Zwang Bekehrten an die jüdische Gemeinde in keiner 
Weise beanstandet zu haben, doch verfolgte er unnachsichtlich die 
jenigen, die,.als Christen geboren, später zum Judentum übertraten. 
Nach einem von Chindasswint erlassenen, die „judaisierenden Chri 
sten“ betreffenden Gesetz verfiel jeder von christlichen Eltern Ge 
zeugte, der die Beschneidungsoperation an sich vornehmen ließ oder 
sich sonst der Befolgung jüdischer Gesetze schuldig machte, der To 
desstrafe, da die Strafe „dem furchtbaren, verabscheuungswürdigen 
Verbrechen vollauf entsprechen“ sollte. Diese Gesetzesbestimmungen 
erstreckten sich wohl auch auf die Nachkommen der ehedem der 
Taufe zugeführten Juden, deren Kinder bereits als Christen geboren 
galten, denn um diese Zeit war schon die zweite Generation heim 
licher Juden herangewachsen, nämlich die Söhne und Töchter der 
im Jahre 6i3 gewaltsam Bekehrten. 
Die Bedrückung der Juden und die Verfolgung der Getauften 
wurde unter dem fanatischen König Recesswint (649—672) gerade 
zu zum System erhoben. In einer von ihm in der Sitzung des achten 
Konzils von Toledo (im Dezember 653) verlesenen Rede ließ sich, 
der König folgendermaßen über die Juden aus: „Ich will euch über 
die Lebensweise und die Sitten der Juden in Kenntnis setzen, weil es 
mir nur allzu bekannt ist, wie sehr das von mir beherrschte Land 
durch diesen Aussatz befleckt ist . . . Während der allmächtige Gott 
in unserem Lande alle Irrlehren ausgerottet hat, ist allein diese 
gotteslästerliche Sekte noch immer unvertilgt, und so muß sie ent 
weder durch die Kraft unserer Frömmigkeit auf den rechten Weg, 
geführt oder aber mit dem Stock der Rache zu Boden geschlagen 
werden. Sehe ich doch unter ihnen (den Juden) einerseits solche, die 
an den Verirrungen einer morschen Überlieferung und den Gesetzen 
ihres Afterglaubens unentwegt festhalten, während die anderen, ob 
wohl durch das Wasser der heiligen Taufe erlöst, zu meiner Betrüb 
nis sich so sehr in die Sünde der Abtrünnigkeit verstrickt haben, 
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