Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (4, Europäische Periode ; Das frühere Mittelalter / 1926)

Anhang 
Einwanderung aus dem Morgenlande, werden hingegen die jüdischen Ko 
lonien immer mehr in die Einflußsphäre der nationalen Kultur hinein 
gezogen: man beginnt, sich im Schrifttum der alten nationalen Sprache 
und der nationalen Zeitrechnung zu bedienen und die fremden Eigen 
namen werden von den rein hebräischen verdrängt. Alle Anzeichen spre 
chen dafür, daß für den Aufbau des Gemeindelebens als Vorbild die 
autonome Organisation der morgenländischen Metropolen maßgebend 
wird. Schon bereitet sich das jüdische Europa darauf vor, die nationale 
Hegemonie zu übernehmen, die sich gegen Ende der Organisierungs 
periode auch in der Tat vom Osten nach dem Westen verschiebt. 
Note 3; Das Chasarenproblem und die Ergebnisse seiner Erforschung 
(zu den §§2 3 und 29) 
Die Bemühungen um die Lösung des Ghasarenproblems, das eines 
der schwierigsten unserer gesamten Historiographie zu sein schien, kön 
nen nunmehr, dank den Ergebnissen der neuesten Quellenforschung, als 
vorläufig abgeschlossen gelten. Zwei in den Schatzkammern der Genisa 
und des Britischen Museums in jüngster Zeit aufgefundene handschrift 
liche Fragmente rücken diese bis dahin rätselhaft gebliebene Episode un 
serer Vergangenheit endgültig in den Lichtkreis der Geschichte. Ohne 
die Einzelheiten der alten wissenschaftlichen Streitfrage noch einmal in 
Erwägung zu ziehen, wollen wir hier nur ihren wesentlichsten Kern her 
ausschälen sowie die auf diesem Forschungsgebiet erzielten Ergebnisse in 
aller Kürze zusammenfassen. 
Die ersten Nachrichten über die Ghasaren gehen im jüdischen Schrift 
tum, soweit ihre Veröffentlichung durch die Buchdruckpresse in Frage 
kommt, auf zwei berühmte jüdische Schriftsteller des XII. Jahrhunderts 
zurück: auf den Dichter Jehuda Halevi und den Geschichtsschreiber Abra 
ham ihn Daud. In seinem um ii4o abgefaßten und zuerst in Kon 
stantinopel im Jahre i5o6 im Drucke erschienenen, unter dem Namen 
„Buch Kusari“ bekannten philosophischen Dialog knüpfte nämlich Jehuda 
Halevi an die Sage von der bei der Bekehrung des Chasarenkönigs zum 
Judentum stattgefundenen Disputation an. Zwar nennt er nicht die Quelle, 
aus der ihm die Legende bekannt geworden ist, doch ist aus der Einlei 
tung zu seinem Buche zu ersehen, daß dem Verfasser das von dem Cha- 
sarenkönig Joseph an Ghasdai ihn Schaprut gesandte Schreiben bereits 
Vorgelegen hat (so erwähnt er den sinnreichen Traum des Königs Bulan 
und kennt auch die Reihenfolge, in der die Vertreter der drei Bekennt 
nisse befragt worden waren). Abraham ihn Daud beruft sich aber in 
seinem um 1160 abgefaßten und im Jahre 1617 gleichfalls in Kon 
stantinopel gedruckten Geschichtsbuch sogar ausdrücklich auf ein „von 
ihrem (der Ghasaren) König an den Nassi R. Chasdai ihn Schaprut ge 
sandtes Schreiben“ und teilt zugleich mit, daß er selbst in Toledo die
	        
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