Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (4, Europäische Periode ; Das frühere Mittelalter / 1926)

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Anhang 
die Lage der Juden zur Zeit der Eroberung des Landes durch die Araber 
sowie in den folgenden anderthalb Jahrhunderten des Kalifats von Gordova 
ist weder von den jüdischen noch von den arabischen Chronisten Ge 
naueres zu erfahren, so daß in der Kette der Entwicklung eine unaus- 
füllbare Lücke klafft. So scheint denn das uns in der ersten Hälfte des 
X. Jahrhunderts, in der Zeit des Kalifen Abdurrahman III. und des Chas- 
dai ibn Schaprut, auf der Pyrenäischen Halbinsel entgegentretende große 
jüdische Kulturzentrum gleichsam aus dem Nichts hervorgesprossen zu 
sein. Im XI. Jahrhundert setzt bereits die arabisch-jüdische Renaissance 
ein (Samuel ha’Nagid, Ibn Gabirol u. a.), deren literarische Schöpfungen 
auch für die soziale Zeitgeschichte eine ergiebige Quelle bieten. Von hier 
aus öffnet sich zugleich ein Rückblick auf eine in der Vergangenheit 
liegende Episode: auf das im Südosten Europas entstandene chasarische 
Königreich. Die Zeugnisse der arabischen Reisenden sowie die in dem 
RriefWechsel des Chasdai mit dem Ghasarenkönig Joseph enthaltenen Mit 
teilungen finden in den neuerdings entdeckten Urkunden ihre volle Bestäti 
gung (unten, Note 3). Noch fehlt es an einer jüdischen Historiographie, 
ja sogar an einer Chronographie, doch tritt bereits die jüdische Literatur 
an die Anhäufung von Baumaterial für die künftige Geschichtsschrei 
bung heran. 
III. Die jüdische Chronographie kommt in Europa erst im Zeitalter 
der Kreuzzüge zur Entstehung. Zwei Augenzeugen der im Jahre 1096 
über die rheinländischen Juden hereingebrochenen Katastrophe, R. Elieser 
ben Isaak und Salomo ben Simon aus Mainz, verewigten die grauenhaften 
Ereignisse in erschütternden Schilderungen, von denen die zweite erst 
vor kurzem auf Grund der Oxforder Handschrift veröffentlicht worden 
ist (Quellen zur Geschichte der Juden in Deutschland, Bd. II; s. oben, 
§ 33 und Bibliographie zu diesem Paragraphen). Diesen authentischen 
Nachrichten kommt eine umso größere Bedeutung zu, als die zeitgenös 
sischen christlichen Chronisten die von den Kreuzfahrern am Rhein ver 
übten Greuel taten fast gänzlich mit Schweigen übergehen; nur ein 
einziger unter ihnen, Albert von Aachen, schildert voll Empörung das 
unter den Juden von Köln, Mainz und Worms angerichtete Blutbad 
(Albertus Aquensis, Historia Hierosolymitanae expeditionis, neue deutsche 
Ausgabe in: „Geschichte des ersten Kreuzzuges“, Buch I, Kap. 25—28, 
Jena 1923). Für die Epoche des zweiten und dritten Kreuzzuges bieten 
wichtigen Stoff die Schilderungen des Zeitgenossen Ephraim aus Bonn 
(in dem bereits zitierten Band II der „Quellen“). Eine wesentliche Er 
gänzung der kurzgefaßten jüdischen Schilderung des dritten Kreuzzuges 
stellen die Erzählungen der englischen Chronisten dar, die in dem Buche 
von Jacobs, The Jews of Angevin England, S. 99—133 gesammelt sind. 
Über die Folgen, die die Kreuzzüge für die französischen, deutschen und 
englischen Juden mit sich gebracht haben, unterrichten uns offizielle 
Akten, auf die unten in der Bibliographie zu den §§ 35—37 hingewiesen 
ist. Material für die jüdische Leidensgeschichte jener Zeit bieten uns
	        
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