Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (4, Europäische Periode ; Das frühere Mittelalter / 1926)

§ 60. Ägypten und Palästina 
Thora, dort ist die Größe (der Nation), nur dort Recht und Barm 
herzigkeit“. Auf seiner Nilfahrt fleht der Dichter die Wellen an, 
ihn fort von Mizraim (Ägypten), an dem Roten Meer und der Wüste 
vorbei, auf dem Wege, den einst Moses gewandelt, „in jenes herr 
liche Nest zu tragen, aus dem die Täubchen vertrieben worden und 
von dem die Rabenbrut Besitz ergriffen“. In dieses „Rabennest“, in 
das Reich der Kreuzfahrer, eilte nun Halevi aus dem gastfreundlichen 
Ägypten, und nachdem er Alexandrien verlassen hatte, wird seine 
Spur unauffindbar (§ 44). 
Eine eingehende Beschreibung der Hauptgemeinden Ägyptens ver 
danken wir Benjamin von Tudela, der dreißig Jahre nach Halevi 
in das Land kam. Kairo (Mizraim, Misri) beherbergte zweitausend 
jüdische Familien. Die jüdische Bevölkerung, die wohl zum größten 
Teil in der Altstadt, in Fostat, ansässig war, zerfiel in zwei Sonder 
gruppen: in die der Palästinenser oder Syrer (al-schamain) und die 
der Babylonier (al-irakin). Jede Gruppe hatte ihre eigene Synagoge 
und hielt an manchen besonderen Riten fest: so pflegten z. B. die 
Babylonier in den synagogalen Sabbatvorlesungen mit dem ganzen 
Pentateuch in einem Jahre fertig zu werden, während die Palästi 
nenser jeden der für die Sabbatvorlesungen bestimmten Thoraab 
schnitte auf drei Sabbate zu verteilen pflegten, so daß sie den ge 
samten Vorlesungszyklus erst in drei Jahren zum Abschluß brachten. 
Der offizielle Repräsentant der ägyptischen Judenheit, der Nagid, 
hatte seinen Wohnsitz in der Reichshauptstadt, in Kairo. Zur Zeit, 
als Benjamin im Lande weilte (um 1170), hatte die Würde eines 
Nagid oder eines „Rosch-ha’kehiloth“ (Oberhaupt der Gemeinden) 
der Nachfolger des Leibarztes Abu-Mansur, Nathaniel (arabisch: Hi- 
bath-Allah) inne, der zugleich Rektor der Jeschiba war. „Er steht — 
so erzählt der Reisende — an der Spitze aller Gemeinden von Ägyp 
ten, in denen er die Rabbiner und Chasanim ernennt. Zugleich steht 
er auch in den Diensten des in Zaon-Mizraim (Kairo) residierenden 
großen Königs; es ist dies die Hauptstadt aller jener Araber, die 
Ali-Abutalib als Haupt der Rechtgläubigen anerkennen (d. h. die Fa- 
timiden, die Nachkommen der Fatima und des Ali)“. Die jüdische 
Bevölkerung von Alexandrien war noch zahlreicher als die von Kairo 
(etwa dreitausend Familien). Das alte Welthandelszentrum erlebte in 
der Zeit der Kreuzzüge, als zwischen Europa, Asien und Afrika enge 
wirtschaftliche Beziehungen angeknüpft wurden, einen neuen Auf- 
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