Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (4, Europäische Periode ; Das frühere Mittelalter / 1926)

Das Morgenland im Zeitalter der Kreuzzüge 
44o 
autonomen Gemeindeverbandes mit weltlichen und geistlichen Zentral 
organen. So ersteht nach einer hundertjährigen Unterbrechung das 
Bagdader Exilarchat und an seiner Seite auch die Macht der Gao- 
nen zu neuem Leben. 
Der erste unter dem Kalifen al-Muktafi auf den Plan tretende 
Exilarch aus der neuen Reihe hieß Chasdai (nach einer anderen weni 
ger zuverlässigen Version, Salomo) und scheint der alten Dynastie 
der „Resche-Galuth“ entsprossen zu sein. Es ist anzunehmen, daß 
der Kalif bei der Wiederherstellung des offiziellen jüdischen Reprä 
sentativorgans sich sowohl von persönlichem Interesse als auch von 
allgemeinen finanzpolitischen Erwägungen leiten ließ: das Exilarchat 
bot eine Garantie für die pünktliche Eintreibung der auf den jüdi 
schen Gemeinden lastenden Steuern, während der Exilarch dem „Ge 
bieter der Rechtgläubigen“ (Emir al-muminin) nicht selten auch 
noch Privatgeschenke zu überreichen pflegte. Der Sage zufolge soll 
der Kalif den Exilarchen in hohen Ehren gehalten und voll Stolz er 
klärt haben: „Ich bin ein Nachkomme des Mohammed und dieser ist 
ein Nachfahre des Königs David!“ Der Sohn und Nachfolger des 
Chasdai Daniel (um 1160—1174) erweiterte die ihm über die jü 
dischen Gemeinden zustehende Macht weit über die Grenzen des Bag 
dader Bezirks hinaus. Er umgab sich mit fürstlichem Prunk und 
trug seine Würde nach Art der orientalischen Höflinge öffentlich 
zur Schau, was auf den aus Europa gekommenen jüdischen Reisen 
den, der um jene Zeit in Bagdad weilte, den nachhaltigsten Ein 
druck machte. Dieser Reisende, Benjamin Tudela, weiß über die 
Lebensführung und den Wirkungskreis dieses Exilsfürsten folgendes 
zu berichten: 
„Allen (den Akademievorstehern und den Gemeinderepräsentanten) übergeord 
net ist Rabbi Daniel ben Chasdai, der ,Resch-Galuth‘ (Exilarch) genannt wird 
und seinen Stammbaum auf Grund eines genealogischen Registers bis auf König 
David zurückführt. Die Juden reden ihn mit ,unser Herr Rosch ha’Gola' an, 
während die Muselmanen ihn ,Saidna ben Daud\ (edler Davidide) titulieren. Über 
alle im Herrschaftsbereich des Hauptes der Muselmanen, des Emirs al-muminin, 
bestehenden jüdischen Gemeinden ist ihm eine weitgehende Macht verliehen, denn 
so hat es Mohammed seiner Nachkommenschaft geboten. Der Kalif verlieh dem 
Exilarchen ein mit einem Siegel versehenes Ehrendiplom, das seine Macht über 
alle jüdischen Gemeinden beglaubigt. Auch befahl er allen Muselmanen, Juden 
und den anderen in seinem Reiche lebenden Völkern unter Androhung schwerer 
Prügelstrafe, daß sich jedermann bei dem Erscheinen des Exilarchen von seinem 
Sitz erhebe und ihn ehrerbietig begrüße. Begibt er sich zu dem großmächtigen 
König (dem Kalifen), so wird er von jüdischen und nichtjüdischen Reitern eskor
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.