Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (4, Europäische Periode ; Das frühere Mittelalter / 1926)

§ 50. „Der Führer der Irrenden* 
notgedrungen auf erlegen mußte, verursachten ihm nicht wenig Ärger. 
In Briefen an ihm Nahestehende äußerte er sich mit schonungsloser 
Schärfe über jene „Narren und alten Weiber“, denen jede altüber 
lieferte Tradition als heilig gelte und die beinahe an einen Gott mit 
Augen und Ohren zu glauben geneigt seien. Er warnt seinen Sohn 
vor dem Studium der Schriften französischer Talmudforscher, die 
in der Religionsphilosophie weder ein noch aus wüßten, und emp 
fiehlt ihm um so wärmer den Bibelkommentar des Abraham ibn 
Esra, der der Wahrheit ins Auge schaue, „ohne jemanden zu fürch 
ten oder gegen jemanden Nachsicht zu üben“. Als die Gelehrten von 
Marseille Maimonides um seine Ansicht über die Astrologie befrag-, 
ten, erhielten sie ein Antwortschreiben, in dem er den „Aberglau 
ben der Sterndeuter“, der mit der wissenschaftlichen Sternkunde, der 
Grundlage der Metaphysik, nichts gemein habe, rücksichtslos ver 
warf (1194). 
Aus Marseille, Lunel und anderen provenzalischen Städten erhielt 
Maimonides begeisterte Huldigungsschreiben. Als den Verfasser der 
„Mischne-Thora“ stellte man ihn in eine Reihe mit Moses, mit Rab 
Aschi und mit den anderen großen Baumeistern des Judaismus. Der 
Dichter Alcharisi verherrlichte ihn mit den folgenden schwärmeri 
schen Worten: „Viele irdische Weise schwangen sich zu den Höhen 
der Vernunft empor, Moses aber war es vergönnt, zu Gott selbst 
emporzusteigen“. Einen besonders treuen Schüler fand Maimonides 
in dem berühmten Übersetzer Samuel ibn Tibbon (§ 47)* der auch 
den „Führer der Irrenden“ ins Hebräische übertrug 1 ). Samuel arbei 
tete an dieser Übersetzung mit einer Ehrfurcht, die man sonst nur 
der Übertragung heiliger Schriften entgegenzubringen pflegt. Die 
fertiggewordenen Teile seines Manuskripts sandte er an den Verfas 
ser und bat ihn hin und wieder um Erläuterung der schwierigsten 
Textstellen. Er äußerte sogar den Wunsch, die weite Reise nach 
Ägypten zu unternehmen, um den verehrten Meister von Angesicht 
zu Angesicht zu schauen, doch riet ihm Maimonides von diesem Plane 
ab, indem er sich auf seine Überbürdung berief, die ihm nicht ein 
mal für den Umgang mit seinen Freunden Zeit lasse. Unter anderen 
1 ) Bald nach der Vollendung dieser Übersetzung wurde der „Führer“ zumi 
zweiten Mal von dem stilgewandten Dichter Alcharisi ins Hebräische übersetzt.. 
Seine Übertragung, die sich durch Anmut des Stiles auszeichnet, gibt jedoch den. 
Inhalt des Originaltextes nicht so genau wieder wie die schwerfällige, aber pein 
lich gewissenhafte Arbeit des Ibn Tibbon. 
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