Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (4, Europäische Periode ; Das frühere Mittelalter / 1926)

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§ 48. Moses ben Maimon 
zu retten vermochten, daß sie sich öffentlich zu Mohammed be 
kannten. Es bleibt ungewiß, ob es der Familie des Maimonicfes 
gelang, diesem Los zu entgehen. Moses selbst blieben jedenfalls die 
Gewissensqualen der „Anussim“, der Sklaven des fremden Glaubens, 
die gezwungen waren, ein islamitisches Lippenbekenntnis abzulegen, 
nicht erspart. Um jene Zeit wandte sich irgendein glaubensschwär 
merischer Rabbiner an die afrikanischen Gemeinden mit einem Hir 
tenbrief, in dem er ihnen einschärfte, daß jeder auch nur unter 
Zwang die islamitische Grundformel von Allah und seinem Prophe 
ten sprechende Jude als Abtrünniger gelten müsse, auch in dem Falle, 
wenn er fernerhin an den jüdischen Bräuchen festhalte. Dieses Send 
schreiben machte einen niederschmetternden Eindruck auf die un 
glücklichen Anussim; in Maimonides rief es aber die Befürchtung 
wach, daß die scheinbare Abtrünnigkeit zu wirklicher führen könnte, 
wenn man die Anussim aus den jüdischen Gemeinden ausschließe. So 
beeilte er sich denn, mit einem Antwortschreiben („Iggereth ha’sche- 
mad“: „Sendschreiben über die Abtrünnigkeit“) auf den Plan zu tre 
ten, in dem er in schärfsten Ausdrücken den übereifrigen Gesetzes 
freund zurechtwies, der sich vermaß, den ihrem Volke mit ganzer 
Seele ergebenen und sich nur in ihrer Todesangst zur Anerkennung 
eines fremden Glaubensartikels hergebenden Juden die Zugehörig 
keit zu ihrer Nation abzusprechen. „Dieser Scheinabfall — so schreibt 
Maimonides — ist keineswegs mit dem Verzicht auf die Befolgung 
der Grundgesetze unserer Religion verbunden; man zwingt uns nicht, 
die Riten (des Islam) zu befolgen, sondern nur das (den Glauben an 
den Prophetenberuf Mohammeds verbürgende) Wort zu sprechen, 
wobei die, die uns dazu zwingen, wohl wissen, daß wir an dieses 
Wort nicht glauben und es nur aussprechen, um dem Zorn des Sul 
tans zu entgehen“. Ferner führt Maimonides den Beweis, daß die 
Selbstaufopferung um der religiösen Überzeugungen willen nur eines 
der Gebote des Judaismus sei und daß ein Jude, der zur Erfüllung 
dieses Gebotes nicht den Mut aufbringe und sich die Maske des frem 
den Glaubens vorbinde, ohne sich von seinem eigenen loszusagen, 
keinesfalls als Abtrünniger gelten könne. Abtrünnigkeit sei die innere 
Preisgabe seiner Überzeugungen, nicht aber die äußere und vorge 
täuschte, nur durch Todesangst veranlaßte Untreue. Maimonides 
spricht seinen in eine solche furchtbare Lage geratenen unglücklichen 
Brüdern Mut zu; er rät ihnen, an ihrer Religion unentwegt festzuhal-
	        
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