Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (4, Europäische Periode ; Das frühere Mittelalter / 1926)

Das Zeitalter der Kreuzzüge in Mitteleuropa 
und Mainz in die Wege geleitet, doch sind uns zuverlässige Nachrich 
ten über diese Organisation erst aus dem XIII. Jahrhundert über 
liefert. 
§39. Die Schule der Tossafisten und die Entwicklung des 
rabhinischen Schrifttums 
Im Mittelpunkt des geistigen Lebens der Gemeinde stand die Tal 
mudwissenschaft. Sie war sowohl das Werkzeug der geistigen Bil 
dung als auch die Werkstatt für die Ausarbeitung der die religiöse, 
soziale und häusliche Lebensführung des Juden umfassenden Ge 
setze. Die Talmudwissenschaft, für die die vorhergehende Epoche des 
Rabbi Gerschom und des Raschi (§§ 16—17) e * ne f es t e Grundlage 
geschaffen hatte, gelangte im XII. Jahrhundert, namentlich in Frank 
reich, zur höchsten Blüte. Zwar hatte weder Frankreich noch 
Deutschland solche synhedrionartige Zentralakademien wie das Ba 
bylonien der gaonäischen Epoche aufzuweisen; dafür gab es hier aber 
keine einzige mehr oder weniger bedeutende Gemeinde, die neben 
einem weitausgedehnten Netz von Elementar- und Mittelschulen in 
ihrer Synagoge oder im Rabbinerhause nicht auch noch eine Hoch 
schule, eine „Jeschiba“ unterhalten hätte. Seit der Zeit, da der große 
Raschi in seinem Kommentarwerke einen Schlüssel zum Talmud ge 
boten hatte, wurde dieser zum Hauptfach des Schulunterrichts und 
zum vornehmlichsten Gegenstand der wissenschaftlichen Forschung. 
Wie ehemals im Osten, in den Kreisen der Amoräer und Gaonen, 
so verschmolzen jetzt auch im Westen theoretische Ziele und prak 
tische Aufgaben, die Erforschung und die Interpretation der Gesetze, 
zu einer unzertrennlichen Einheit. Die von der Lebenspraxis unab 
weisbar geforderte Auslegung der talmudischen Halacha förderte zu 
gleich auch die theoretische Untersuchungsarbeit, die für den jeder 
anderen Nahrung beraubten Geist überdies ein tiefempfundenes in 
neres Bedürfnis war. So wurden bei der weiteren Erforschung des 
Talmud dieselben Folgeerscheinungen unvermeidlich, die schon bei 
seiner Entstehung im Morgenlande so kraß zutage getreten waren: 
das Überwuchern des „Pilpul“, der Kasuistik. Wie einst auf der 
Grundlage der Mischna als deren Erläuterung und Ergänzung der 
Überbau der Gemara errichtet wurde, so begann man jetzt auf dem 
Fundament der Gemara ein neues Stockwerk von „Zusätzen“, von
	        
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