Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (4, Europäische Periode ; Das frühere Mittelalter / 1926)

Das Zeitalter der Kreuzzüge in Mitteleuropa 
§ 36. Die Juden in England und der dritte Kreuzzug (1189—1190) 
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Die ersten bedeutenderen jüdischen Siedlungen in England bil 
deten sich gegen Ausgang des XI. Jahrhunderts, unmittelbar vor den 
Kreuzzügen. Es waren dies Ausläufer der Diaspora auf dem euro^ 
päischen Festlande. Die englische Judenheit war ursprünglich nichts 
als eine Kolonie des französischen Zentrums. Religionsnot und ma 
terielle Sorgen hatten vielen französischen Juden den Weg nach der 
jenseits des Ärmelkanals gelegenen Insel gewiesen. Dieser anfäng 
lich nur spärlich und ruckweise fließende Auswandererstrom ver 
wandelt sich seit der Eroberung Englands durch die Normannen 
(1066) in eine weit um sich greifende Massenbewegung. Die ersten, 
bedeutenderen Gruppen der jüdischen Auswanderer kamen ins Land 
fast unmittelbar nach Wilhelm dem Eroberer. Die in England neu 
errichtete sozial-wirtschaftliche Verfassung lockte dorthin unterneh 
mungslustige Kaufleute und Finanzmänner, Vertreter jener Mittel 
schicht, an der es diesem Lande der feudalen Gutsherren und der 
leibeigenen Bauern am meisten gebrach. Nachdem Wilhelm I. die 
Länder der Sachsen seinen normannischen Mitstreitern als Lehens 
güter übertragen hatte, lag ihm nämlich besonders daran, daß seine 
Vasallen ihm den Tribut nicht in natura, sondern in barer Münze 
entrichten, da die Eroberer zur Aufrechterhaltung ihrer Macht, zum 
Städte- und Festungsbau vor allem Geld benötigten; eine Überfüh 
rung der Naturalwirtschaft in die Geldwirtschaft war aber um jene 
Zeit ohne die Juden undenkbar. Die ersten normannischen Könige 
sahen, wie erfolgreich dieser Verwandlungsprozeß mit jüdischer Hilfe 
in Frankreich vonstatten ging, und wollten auch in ihrem neuerrich 
teten Staate auf dieses mächtige Werkzeug der Finanzpolitik nicht 
verzichten. So lag der jüdischen Kolonisation in England schon von 
Anfang an eine beiderseits wohl erwogene Berechnung zugrunde, die 
der ganzen Geschichte der englisch-jüdischen Beziehungen den Stem 
pel des Feilschens auf drückte, eines Kampfes um, das Herauswirt 
schaften größtmöglicher Vorteile, in dem die stärkere Partei, die 
königliche Gewalt, die schwächere mit viel größerem Erfolge aus 
zubeuten vermochte. 
Die ersten jüdischen Gemeinden in England entstanden in den 
Kulturzentren Cambridge und Oxford (1078—1075). In London 
faßten die Juden etwas später, erst zu Beginn des XII. Jahrhunderts,
	        
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