Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (4, Europäische Periode ; Das frühere Mittelalter / 1926)

§ 32. Allgemeine Übersicht 
Eine Ausnahme von der Regel bildeten in der geschilderten Epoche 
nur die zwei in Südeuropa gelegenen jüdischen Zentren: Italien und 
Spanien. In ihrer eigenen Heimat galten die Päpste bekanntlich durch 
aus nicht als Propheten, und so machte sich der kirchliche Druck in 
Rom selbst viel weniger bemerkbar als in den anderen dem Heiligen 
Stuhle Untertanen Ländern. Auch sonst ließen verschiedene Regie 
rungen in den italienischen Stadtrepubliken und Lehensherrschaften 
den Juden ihre Protektion angedeihen. Was aber das arabische Spa 
nien anlangt, so dauerte hier im XII. Jahrhundert der Kampf zwi 
schen den Muselmanen selbst (Almoraviden und Almohaden) sowie 
zwischen ihnen und den Christen noch immer fort. Indessen hatten 
hier die Juden nur zwei Jahre unter den Ausschreitungen der fanati 
schen Almohaden zu leiden (1147—n 48), während sonst ihre po 
litische und soziale Lage in den beiden Hälften der Halbinsel in keiner 
Weise erschüttert wurde. Noch hatte das goldene Zeitalter der ara 
bisch-jüdischen Renaissance seine prächtigsten Blüten und herrlich 
sten Früchte nicht zu voller Entfaltung und Reife gebracht. Der 
größte Dichter des Mittelalters und sein tiefster Denker, Jehuda Halevi 
und Moses Maimonides, lebten in der ersten, bzw. in der zweiten 
Hälfte des XII. Jahrhunderts. Daneben sollte dieses glanzvolle Jahr 
hundert auch noch eine Reihe anderer schöpferischer Geister auf allen 
Gebieten der Literatur hervorsprießen sehen. Das Nationale und das 
Allmenschliche traten hier unter den verschiedensten Verhältnissen 
miteinander in Verbindung: während bei Halevi das Universale in den 
grellsten nationalen Farben erstrahlt, ist es bei Maimonides gerade 
umgekehrt. Überall war der weit ausgreifende Flug der Gedanken 
sichtbar, die in dem engumschlossenen Bezirk der rabbinischen Scho 
lastik, in dem geistigen Ghetto der französisch-deutschen Juden, un 
ausbleiblich hätten verkümmern müssen. 
Der geistige Horizont der Juden in Frankreich und Deutschland, 
die von Anfang an diesen schmalen Weg des Schaffens eingeschlagen 
hatten, hatte sich nach den grausigen Erlebnissen der Zeit der Kreuz 
züge in der Tat noch mehr verengert. Mußten doch hier die Führer 
des Volkes alle Hebel der talmudischen Nomokratie in Bewegung set 
zen, um gegen den Ansturm der umgebenden feindlichen Kultur die 
kulturelle Einheit der Nation zu behaupten und die Folgen der Be 
drückung sowie der im Zeichen des Kreuzes veranstalteten Gemetzel 
wieder wettzumachen. Das Leben selbst drängte in der bereits erprob- 
18 Dubnow, Weltgeschichte des jüdischen Volkes, Bd. IV 
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