Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (4, Europäische Periode ; Das frühere Mittelalter / 1926)

§ 31. Die ersten jüdischen Siedlungen in Polen 
Deutschland und weiter nach dem Westen hin beförderten slawischen 
Sklaven, so daß wohl auch Polen aus diesem internationalen Handels 
verkehr nicht ausgeschaltet blieb. Wie in anderen Ländern, so trat die 
sonst um das Los der Sklaven nur wenig besorgte Kirche auch hier 
ausschließlich gegen das Eigentumsrecht der Juden an christlichen 
Sklaven auf. So wird in der Lebensbeschreibung des heiligen Adalbert 
(Wojtech) erzählt, daß dieser Apostel der Slawen und Pruzzen 
(Preußen) die Würde eines Bischofs von Prag nicht zuletzt aus dem 
Grunde ausgeschlagen hätte, weil man ihn daran hinderte, christliche 
Gefangene und Sklaven loszukaufen, die „ein jüdischer Kaufmann 
mit seinem verfluchten Golde erstanden hätte“ (989). Auch die böh 
mische Prinzessin Judith, die Gattin des polnischen Fürsten Wladi- 
slaw I. (1080—1102), sparte nicht mit ihrem Gelde, um christliche 
Gefangene und Sklaven von der Herrschaft ihrer jüdischen Besitzer 
zu befreien. Nach diesen von den Kirchenchronisten in übrigens 
durchaus tendenziöser Weise herausgegriffenen Tatsachen zu urtei 
len, wurde der Handel in Polen weniger von dort ansässigen, als viel 
mehr von reisenden jüdischen Kaufleuten betrieben, die ebenso wie 
die Griechen und Araber auch Sklavenhandel trieben. Die erwähnten 
Quellen wissen nämlich nichts darüber zu berichten, daß jüdische 
Besitzer ihre Sklaven oder Leibeigenen zur Bebauung des Landes ver 
wendet hätten, was bekanntlich den Kircheneiferern, namentlich in 
Spanien und dem Frankenreiche, stets ein Dorn im Auge gewesen war. 
Jüdische Gutsbesitzer scheint es eben in dem damaligen Polen noch 
nicht gegeben zu haben. Sie sollten, zusammen mit den Vertretern 
anderer Berufsarten, erst in der folgenden Epoche hervortreten, in 
der der reisende Kaufmann durch den seßhaften verdrängt wird und 
in der zugleich auch die Klagen über den Sklavenhandel völlig ver 
stummen. 
Alles in allem kann somit in der den Kreuzzügen vorausgehenden 
Zeit nur von den allerersten Anfängen einer polnischen Judenheit die 
Rede sein. Die eigentliche Geschichte der Juden in Polen beginnt erst 
mit dem Zeitpunkt, da der erste Kreuzzug große Massen von Juden 
aus Deutschland und Böhmen in die benachbarten polnischen Länder 
trieb und die darauffolgenden systematischen Judenverfolgungen 
in allen westeuropäischen Ländern diese ostwärts verlaufende Abwan 
derungsbewegung noch mehr anschwellen ließen. Lange noch sollte 
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