Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (4, Europäische Periode ; Das frühere Mittelalter / 1926)

Die Kolonien im östlichen Europa 
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sten Morgen als erster in die Stadt einziehen würde, das Fürstentum 
zu übertragen. Nun geschah es, daß die Stadt als erster gerade ein 
Jude namens Abraham der Pulvermann (d. h. ein Verkäufer des da 
mals noch nicht einmal erfundenen Schießpulvers!) betrat, der denn 
auch ohne viel Federlesen zum Fürsten ausgerufen wurde. Der Jude 
schlug jedoch die ihm angetragene hohe Ehre aus und bestand dar 
auf, daß zum Fürsten der gescheite Pole Piast erwählt werde, der so 
zum Stammvater der Piastendynastie wurde. Eine andere Legende 
weiß zu berichten, gegen Ende des IX. Jahrhunderts sei bei dem pol 
nischen Fürsten Leschek eine jüdische Abordnung aus Deutschland 
eingetroffen, um für ihre Stammesgenossen freien Einlaß nach Po 
len zu erwirken, worauf Leschek, nachdem er die Juden über die 
Eigentümlichkeiten der jüdischen Moral und Religion genau ausge 
fragt hatte, auch gern eingegangen sei. Alsbald sollen denn 
auch ganze Scharen von Juden aus Deutschland nach Polen überge 
siedelt sein, wo ihnen besondere, später abhanden gekommene oder 
vernichtete Freibriefe verliehen worden seien. Unbeschadet dessen, daß 
diese dunklen Volkssagen von Anachronismen strotzen und offen 
sichtlich erst in einer viel späteren Zeit entstanden sind, sind sie 
dennoch eines geschichtlichen Kerns insofern nicht bar, als sie die 
ersten Anfänge der jüdischen Siedlungen Polens schon in die heid 
nische Zeit zurückverlegen und zugleich auf deren deutschen Ur 
sprung hinweisen. 
Nicht minder spärlich sind die Nachrichten über die Geschichte 
der Juden im christlichen Polen in der Zeit zwischen dem Ende des 
X. und dem Ende des XI. Jahrhunderts. In der Chronik der Fürsten 
dieser Epoche: Meczislaws I., Boleslaws des Tapferen, Boleslaws des 
Kühnen und Wladislaws I. wird keiner einzigen jüdischen Siedlung, 
nicht einmal in den Fürstensitzen Posen, Gnesen und Krakau, Er 
wähnung getan. Desungeachtet läßt manche fragmentarische Nach 
richt vermuten, daß in dem damaligen Polen dennoch hier und da 
kleine jüdische Kolonien bestanden, die von Auswanderern aus 
Deutschland und Böhmen, vornehmlich aus der Stadt Prag, begründet 
worden waren. Im Jahre 906 verfügten die deutschen Behörden, daß 
an der bayrisch-böhmischen Grenze bei den ostwärts ziehenden „jü 
dischen und sonstigen Kaufleuten für Sklaven und allerlei andere 
Waren“ Zoll erhoben werde. Nun war aber Böhmen bekanntlich einer 
der Hauptmarktplätze für den Handel mit den von dort nach
	        
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