Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (4, Europäische Periode ; Das frühere Mittelalter / 1926)

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Die Karolinger zeit in Mitteleuropa 
dem sie in ihren mündlichen oder in schriftlich ausgearbeiteten Vor 
trägen verschiedene Systeme der Theologie und der Moral zur Dar 
stellung brachten; die anderen beschränkten sich hingegen nur auf die 
grammatische und logische Interpretation des Bibeltextes, wobei sie 
unklare Wendungen in verständlicherer Form Wiedergaben und stel 
lenweise schwierige hebräische Ausdrücke auch ins Französische oder 
Lateinische übersetzten. Moses haDarschan aus Narbonne, der gegen 
Ende des X. und zu Beginn des XI. Jahrhunderts wirkte, kann als 
Hauptrepräsentant der ersten Gelehrtenrichtung gelten. Er stand an 
der Spitze der narbonnensischen Talmudschule, als deren Oberhäupter 
der Überlieferung zufolge schon sein Vater, Großvater und Urgroß 
vater gewirkt hatten, woraus auf das ziemlich fortgeschrittene Alter 
der jüdischen Wissenschaft in der Provence zu schließen ist. Von 
seinen Werken sind uns nur Bruchstücke oder in den Büchern spä 
terer Schriftsteller vorkommende Auszüge erhalten geblieben. Daß 
aber die Schriften des Moses ha’Darschan seinerzeit in sehr hohem 
Ansehen standen, ist schon daraus ersichtlich, daß sie von dem größ 
ten Kommentator der darauffolgenden Epoche, von Raschi, häufig 
zitiert werden. Soweit man aus den erhalten gebliebenen Bruchstücken 
schließen kann, befaßte sich der narbonnensische Prediger mit den 
tiefsten Problemen der Theologie, mit denen der Weltschöpfung und 
der göttlichen Offenbarung, die er in der vom Midrasch bevorzugten 
Form von Sagen und symbolischen Einkleidungen zu behandeln 
pflegte. Sein Sohn, Jehuda ha’Darschan, setzte sein Werk weiter fort 
und förderte die Verbreitung der theologischen Wissenschaft in Nar 
bonne und dem benachbarten Toulouse. Aus dieser Gegend war an 
scheinend auch der Bibelkommentator Menachem bar Chelbo gebür 
tig, der um die Mitte des XI. Jahrhunderts wirkte und später nach 
Nordfrankreich übersiedelte. Seine „Erläuterungen“ („Pithronim“, 
buchstäblich: „Enträtselungen“) stellen einen der ersten im Westen 
unternommenen Versuche einer grammatischen und lexikologischen 
Auslegung der Bibel dar. Aus diesem umfangreichen Kommentar ha 
ben sich viele Bruchstücke erhalten, die auf die ganze Bibel mit Aus 
nahme des Pentateuch Bezug nehmen. Die „Erläuterungen“ des Mena 
chem sind uns in den Werken ähnlichen Inhalts seines Neffen und 
Schülers Joseph Kara überliefert, dessen Meister zugleich auch Raschi 
war; auch Raschi selbst beruft sich nicht selten auf die Auslegungen 
des Menachem. In diesen Kommentaren fand zum ersten Mal die Me
	        
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