Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (4, Europäische Periode ; Das frühere Mittelalter / 1926)

§ 16. Die Anfänge der jüdischen Kultur in Mitteleuropa 
den sollten, das von dem bischöflichen Lehensherrn in seiner Würde 
bestätigt und manchmal selbst mit dem Titel eines „jüdischen Bi 
schofs“ (Judaeorum episcopus) ausgezeichnet zu werden pflegte 1 ). 
Die deutsch-jüdische Diaspora erstreckte sich nunmehr bis nach 
Böhmen und Polen, den Vorposten des Slawentums. Die westslawi 
schen Länder wurden um jene Zeit von Kaufleuten verschiedenster 
Nationalität, darunter auch von Juden, gern aufgesucht, die Sklaven, 
Pferde sowie Rohprodukte: Leder, Metalle, Wachs, von dort ausführ 
ten. Nach dem Zeugnis des böhmischen Chronisten Cosmas, eines Kir 
chendekans in Prag, lebten in diesem sowie in dem nahegelegenen 
Wyschehrad gegen Ende des XI. Jahrhunderts „Juden, reich an Gold 
und Silber, wohlhabender denn die Kaufleute aller anderen Nationali 
täten, überaus begüterte Münzpräger“. Wenn man einer aus späterer 
Zeit stammenden Urkunde Glauben schenken will, soll der böhmische 
Herzog Wratislaw II. (1061—1092) die Juden der Vorstadt Prags 
mit den dort lebenden Deutschen völlig gleichgestellt haben, indem er 
ihnen das Recht verlieh, „nach eigenen Gesetzen zu leben und ge 
richtet zu werden“, was auf das Zugeständnis einer Gemeindeselbst 
verwaltung hinauslief. 
§16. Die Anfänge der jüdischen Kultur in Frankreich und Deutsch 
land (R. Gerschom) 
In der Zeit, da die jüdischen Kolonien Mitteleuropas sich nach 
und nach zu wohlorganisierten autonomen Gemeinden entfalteten, 
bildeten sich hier zugleich auch neue Mittelpunkte national-geisti 
ger Kultur, die bei dem im Westen eingeleiteten Aufbauwerke nur 
auf den von den Hegemoniezentren des Ostens bereits gebahnten 
Wegen weiter fortschreiten konnten. Dieser sich im stillen vollzie 
hende Wachstumsprozeß einer eigenartigen Volkskultur offenbart sich 
uns zum ersten Mal in den scharf umrissenen Gestalten der im X. und 
!) Manche Geschichtsschreiber zweifeln an der Authentizität dieser beiden 
Erlasse Heinrichs IV. und vermuten, daß sie zum Teil im Interesse der bischöf 
lichen Gewalt, zum Teil in dem der jüdischen Gemeinden später interpoliert wor 
den seien. Ihrem Hauptinhalte nach können jedoch die Privilegien, die mit dem 
von dem Speyerer Bischof Rüdiger verliehenen Freibrief durchaus übereinstim 
men, in keiner Weise als unecht betrachtet werden (s. Aronius, Regesten Nr. 
170—171). 
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