Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (4, Europäische Periode ; Das frühere Mittelalter / 1926)

§ 15. Deutschland unter den römisch-deutschen Kaisern 
überläßt Otto II. dem Bistum von Merseburg „alles, was von der 
Stadtmauer umschlossen ist, mitsamt den Juden und den Kaufleuten“ 
(cum Judaeis et mercatoribus). Dies sollte heißen, daß dem Bischof 
ein Anrecht auf alle bei den dortigen Juden und Kaufleuten einzu- 
treibenden Steuern eingeräumt wurde. Die gleichen Vorrechte wurden 
den Bischöfen von Worms, Köln, Mainz und anderen Städten ver 
liehen. In manchen Urkunden werden besondere jüdische Stadtviertel 
erwähnt („Judaeorum habitacula“ in Regensburg zu Beginn des 
XI. Jahrhunderts und „Porta Judaeorum“ in Worms), und es ist 
demnach anzunehmen, daß sich die Juden auch hier aus freien Stük- 
ken in besonderen Stadtvierteln ansiedelten, um in der Nähe ihrer 
autonomen Institutionen und in nächster Nachbarschaft miteinander 
leben zu können. Daß sie sich hierbei in ihren inneren Angelegenhei 
ten einer weitbemessenen Selbstverwaltung erfreuten, ist zum Teil aus 
den Urkunden jener Zeit, zum Teil aus auf die darauf folgende Epoche 
der Kreuzzüge sich beziehenden Schilderungen zu ersehen. 
Das von den Kaisern der sächsischen Dynastie den Juden bezeugte 
Wohlwollen vergalten diese ihrerseits mit der Bekundung unver 
brüchlicher Treue. So berichtet ein christlicher Chronograph, daß sich 
in dem Gefolge Ottos II. während dessen Feldzuges nach Italien ein 
Jude namens Kalonymos befand, der seinem Herrn einst das Leben 
rettete. In der Schlacht gegen die Sarazenen bei Cotrone (982) wäre 
nämlich der Kaiser, der sich plötzlich ohne Gefolgschaft und seines 
Rosses beraubt sah, dem sicheren Tode verfallen gewesen, wenn Ka 
lonymos ihm nicht sein eigenes Roß angeboten hätte, auf dem Otto 
davonsprengen konnte. Derselbe Jude war es, der ihm ein anderes 
Mal in einer bedrängten Lage die Flucht auf einem Schiffe ermög 
lichte. Später übersiedelte Kalonymos mit seinen Angehörigen aus der 
italienischen Stadt Lucca nach Mainz, wo seine Nachkommen lange 
Zeit hindurch an der Spitze der jüdischen Gemeinde standen. Die 
Chronik weiß nur von einem einzigen Fall von Judenverfolgungen 
unter diesen Herrschern zu berichten. Im Jahre 1012 gab der fromme 
Kaiser Heinrich II. der Heilige plötzlich den Befehl, alle der Taufe 
sich widersetzenden Juden aus Mainz zu vertreiben. Nur wenige wur 
den ihrem Glauben untreu, während alle übrigen in die Verbannung 
zogen. Im nächsten Jahre wurde indessen den Verbannten auf die 
Fürbitte des Hauptes der Mainzer Gemeinde, Rabbi Simon ben Isaak, 
die Rückkehr in die Stadt wieder gestattet Die Chronik schweigt sich
	        
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