Die Karolingerzeit in Mitteleuropa
liehe Schutzherrschaft angedeihen läßt Diesem Bunde der weltlichen
und geistlichen Gewalt entsprießt das Imperium: der Papst Leo III.
krönt Karl den Großen in Rom und ruft ihn zum Imperator, zum
„allerfrömmsten Augustus“ aus (800). So ersteht von neuem neben
dem byzantinischen Reiche, dem europäischen Überrest des ehema
ligen oströmischen Imperiums, ein weströmisches Imperium im
mittleren Europa. Seine weltlichen Residenzen liegen in Frankreich
und Deutschland, seine geistige Hauptstadt ist aber die alte Geburt
stätte des Imperiums, Rom, das nunmehr zum Mittelpunkt der christ
lichen Theokratie geworden ist. Das theokratische Element der neuen
Staatsordnung sollte indessen der jüdischen Bevölkerung erst viel spä
ter fühlbar werden, nachdem das Papsttum über die weltliche Gewalt
die Oberhand gewonnen hatte; vorerst bekommen die Juden die
schwere Hand der Kirche noch in keiner Weise zu spüren, da deren
Oberhäupter, die römischen Pontifices, von Karl dem Großen und
seinen nächsten Nachfolgern, den Schutzherren der Juden im neuen
Imperium, noch viel zu sehr abhängig sind.
Verschiedene verworrene christliche und jüdische Legenden ver
mitteln uns eine Vorstellung von jenen freundschaftlichen Beziehun
gen, die sich zwischen der neuen Gewalt und den Juden namentlich
im Bezirk von Narbonne herausgebildet hatten. Dieser ehedem dem
westgotischen Spanien angehörende Landstrich geriet fast gleich
zeitig mit jenem, im Jahre 720, unter die Gewalt der Araber. Im
Jahre 759 belagerte das Frankenheer unter dem Oberbefehl des
Königs Pippin Narbonne und bemächtigte sich seiner mit Hilfe
der gotischen Einwohner, die die arabische Besatzung niedermach
ten und die Stadt unter der Bedingung der Aufrechterhaltung ihrer
Selbstverwaltung Pippin übergaben. Diesen von der Chronik verbürgten
Tatbestand wandelt nun die Legende nach ihrer eigenen Weise um,
indem sie das Verdienst der Übergabe der Stadt den Juden zuschreibt
und nicht Pippin, sondern seinen Sohn Karl den Großen als Be
zwinger von Narbonne erscheinen läßt 1 ). Die Juden sollen, wie es
in der Legende heißt, an die die Stadt belagernden Franken eine Ab
ordnung gesandt und ihnen ihre Hilfe angeboten haben. Das Haupt
der Deputation, Isaak, hätte Karl dem Großen erklärt, daß die zur
D Die Erzählung ist in den zu Beginn des XIII. Jahrhunderts aufgetauchten
und an sagenhaften und romantischen Elementen überreichen „Gesta Garoli Magni,“
erhalten geblieben.