Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes im Orient (3, Orientalische Periode / 1926)

§ 28. Rab und Samuel. Die akademische Organisation 
195 
13* 
denen dar palästinensischen Amoräer ab; nur kam dort mehr der 
Hang zur raffinierten Dialektik zum Vorschein, der überhaupt ein 
Charakteristikum der babylonischen Schulen war. So sind denn die 
im Talmud verewigten, zwischen Rab und Samuel geführten halachi- 
schen Debatten überreich an originellen kasuistischen Kunstgriffen 
auf dem Gebiete der Rechtskunde und der Gesetzesauslegung. 
Die ihm nach der halachischen Arbeit noch verbleibende Mußezeit 
widmete Rab der Haggada und der religiösen Poesie. Es werden ihm 
viele Hymnen zugeschrieben, die später in der synagogalen Liturgie 
Aufnahme fanden. So wird er als der Verfasser jener erhabenen Hym 
nen in der Rosch-ha'schana-Liturgie („Malchujoth, Sichronoth, Schof- 
roth“ im Mussaphgebete) angesehen, die bis zum heutigen Tage mit 
allergrößter Feierlichkeit und unter Hornklängen in den Synagogen 
vorgetragen werden 1 ). Sollte diese Überlieferung auf Wahrheit be 
ruhen, so müßte Rab als der Vater der synagogalen Poesie und als 
einer der vortrefflichsten liturgischen Dichter aller Zeiten angespro 
chen werden. Die berühmte Hymne „Alenu“ aus dieser Reihe, die 
später zum alltäglichen Schlußgebet wurde, stellt ein eindrucksvolles 
Bekenntnis der jüdischen Religion dar, die dabei zu allen anderen 
Glaubenslehren in schroffen Gegensatz gestellt wird: 
„Uns liegl es ob, zu huldigen dem Herrn des Weltalls und dem, der die 
Welt geschaffen, die Ehre dafür zu geben, daß er uns nicht gemacht, wie die 
Völker aller Länder und uns nicht das gleiche Los hat beschieden, wie all den 
Völkerscharen. Denn sie bücken’ sich vor einem Gespenst und einem Nichts und 
flehen zu einem Gott, der nicht helfen kann, wir aber beugen das Knie, bücken 
uns und bekennen unseren Glauben vor dem König über die Könige der Könige 2), 
dem Heiligen, gelobt sei er, der die Himmel hat ausgespannt und die Erde hat 
gegründet, dessen Herrlichkeit thronet in den höchsten Höhen. Er ist unser Gott, 
und keiner sonst; er ist in Wahrhaftigkeit unser König und keiner außer ihm . . . 
Darum hoffen wir, Gott, unser Herr, auf dich, daß wir ehestens schauen werden 
deine ganze Macht und Herrlichkeit, daß alle Greuel von der Erde verschwinden 
und alle Götzen vertilgt sein werden, daß die Welt im Reiche des Allmächtigen 
vollkommen werden wird, daß alle, die leben im Fleische, dich bei deinem Namen 
rufen und alle Sünder auf Erden sich zu dir bekehren werden . . .** 
!) In der talmudischen Überlieferung (Jer. Rosch-ha’schana, I, 3 u. Aboda- 
sara, I, 2) wird diese Hymnenreihe „Hornklangliturgie der Schule des Rab“ 
(Tekiata debe rab) genannt. 
2) Es wird vermutet, daß hierin eine Anspielung auf den hochfahrenden Titel 
der parthischen und persischen Monarchen: „König der Könige des Iran“ ent 
halten sei.
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.