Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes im Orient (3, Orientalische Periode / 1926)

Palästina im HL Jahrhundert 
162 
teten es als ein Kennzeichen weitgehenden Freidenkertums, daß Ab- 
bahu sogar seine Tochter im Griechischen unterrichten ließ, doch 
suchte er den Unwillen der Rechtgläubigen dadurch zu beschwich 
tigen, daß er die Kenntnis der griechischen Sprache für eine „Zierde“ 
der Jungfrau erklärte. Er scheint nicht selten den Patriarchen vor den 
römischen Behörden vertreten zu haben, und genoß bei den Römern 
große Achtung; die vornehmen römischen Matronen ehrten ihn durch 
die Titel: „Haupt des judäischen Volkes“, „Wortführer der judäi- 
schen Nation“. Im talmudischen Schrifttum tritt Abbahu weniger als 
ein rechtskundiger Halachist hervor denn als ein Haggadist, dem vor 
allem die Probleme der religiösen Dogmatik, der Moral und der Phi 
losophie am Herzen lagen. 
§ 23. Die Haggadisten und ihre Polemik gegen die Christen 
Die Auslegung der Mischna und die Bearbeitung der mit dem re 
ligiösen Ritual und der Rechtskunde zusammenhängenden Fragen er 
schöpfte keineswegs die gesamte geistige Energie der palästinensischen 
Amoräer: nicht wenige unter ihnen richteten die ganze Kraft ihres 
Denkens in erster Linie auf religiös-ethische Untersuchungen. Neben 
den rechtskundigen Halachisten, die in den Akademien Lehrvorträge 
hielten, gab es auch Fachmänner der Theologie, die Haggadisten 
(Rabbanan de’agadata), die ihren Ansichten hauptsächlich durch das 
Predigen in den Synagogen Geltung verschafften. 
Von den Zeitgenossen des Jochanan erwarb sich als Haggadist 
hohen Ruhm R. Simlai aus Lydda, der eine Art Wanderprediger 
(„Darschan“) war. Simlai lag vor allem daran, das jüdische Gesetz 
auf seine dogmatischen und sittlichen Grundlagen hin zu prüfen. 
Alle Vorschriften der jüdischen Religion, 6i3 an der Zahl, sind von 
ihm in zwei Kategorien eingeteilt worden: in 2 48 Gebote und in 
365 Verbote. Alle diese sowohl gebietenden wie verbietenden Vor 
schriften bezwecken seiner Ansicht nach nur die geistige und sitt 
liche Vervollkommnung des menschlichen Wesens. Dieses hehre Ziel 
komme in dem folgenden uralten Psalm zum Ausdruck, in dem alle 
Gesetze des Judaismus auf elf Grundgesetze rein moralischen Inhalts 
zurückgeführt seien: „Wer darf gasten in deinem Zelte, wer darf 
wohnen auf deinem hohen Berge? i. Wer unsträflich wandelt, 2. wer 
recht tut, 3. wer von Herzen Wahrheit redet, 4- wer auf seiner Zunge
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.