Volltext: Über Land und Meer : deutsche illustrierte Zeitung 2. Band 1902 (44. Jahrgang / 2. Band / 1902)

Oie Mackl am Kkein. 
Roman von 6. Viebig. 
(Fortsetzung.) 
eine Melodie mehr wehte aus dem offenen 
Küchenfenster in die neu grünenden Ahorn 
bäume. Der Frühling war geboren, aber 
das Lied war tot. Jetzt klapperte Frau Trina 
mit den Töpfen, nun, da die Tochter sich die 
Aussteuer nähte. 
Drinnen in der Stube saß Jofefine auf dem 
Fenftertritt hinter den Geraniumstöcken, tief über 
die Arbeit gebückt. Selten, daß sie den Blick 
erhob und die Augen hinausschweifen ließ über 
den Platz, auf den: die Mannschaften zur Früh- 
jahrsbefichtigung übten. Wohl hatte das Exer 
zieren seinen Reiz für sie noch nicht ganz ver 
loren, aber sie fürchtete, i h n vor der Front stehen 
zu sehen in seiner ganzen Schlankheit; mit Scheu 
wendete sie rasch den Blick ab. Blaß wurde sie, 
denn ihr Fleiß bannte sie immer in die Stube; 
die Mutter hatte ihr gern eine Hilfe nehmen 
wollen — das bucklige Stinchen, die Nähterin, 
die so schöne Hemdenfältchen kratzte und die Priesen 
auf den Faden aufsteppte, half allen Bürger 
bräuten —, aber Josefine wollte keine Hilfe. Alles 
allein sticheln, das bringt Glück. Ach, Glück? 
Sie hoffte doch darauf. Der Konradi war ja so 
gut, das sagte sie sich alle Tage vor. Wenn sie 
nur erst fort wäre, weit weg! 
Und sie, die nie für einen ganzen Tag die 
Kaserne verlassen, die noch nie ihr Haupt wo 
anders zur Ruhe gelegt als im Schutz dieser 
Mauern, begann zu träumen von einer neuen 
Heimat, unbestimmte Träume, von denen sie nicht 
wußte, ob sie angenehm waren oder traurig. 
Fernab vom Leben des Tages lebte sie so 
in ihren Träumen — was läuteten denn die 
Glocken?! Die Mutter sagte: „Ei, zur Toten 
feier für die letzt im März zu Berlin Gefallenen!" 
In der Maxpfarre war ein Katafalk errichtet 
mit schwarzem Flor und Lorbeeren. Frau Trina 
lief auch hin, und sie kam wieder mit geröteten 
Augen — alle Welt hatte geschluchzt — und sie 
erzählte von Trauerfahnen und Jmmortellen- 
kränzen, vom Requiem, das der Hiller, der Musik 
direktor, aufgeführt, und von der ergreifenden 
Rede des Herrn Pfarrers Schmitz. 
Bis in die Kaserne hatten sich die Klänge des 
Trauermarsches verirrt, den die Musik dem Bürger 
zug aufspielte, der nach der Kirche wallte, die für 
die Freiheit gefallenen Helden nachträglich noch 
einmal zu ehren. Josefine hatte keinen Ton ver 
nommen — was ging sie das alles an! Sie 
kümmerte nur das eigne Geschick. 
Alle paar Wochen kam jetzt Konradi zu Be 
such, oft einen ganzen Sonntag; er hatte nun 
wieder freie Zeit. Aber er war kein lästiger 
Bräutigam, ein Mensch von vielen Worten 
so wie so nicht. In seiner Heimat, dem fernen 
Ostpreußen, waren ja die Leute an Kargheit ge 
wöhnt — kümmerliche Frühjahre, wie er sagte, 
und lange, schneevergrabene Winter. Er war zu 
frieden, wenn Jofefine ihn freundlich ansah und ihm 
beim jedesmaligen Abschied einen Kuß schenkte; und 
das konnte sie doch nicht anders, er hatte ihr ja 
nichts Böses gethan. Selbst Frau Trina, die 
anfangs viel Lust bezeigte, gegeu den Schwieger 
sohn zu rebellieren — war er doch ein Reformierter, 
und die sind noch ärgere Ketzer wie dieLutherschen —, 
wurde durch seine ruhige Treuherzigkeit entwaffnet. 
Keine Neckerei verfing. Darin war er ganz anders 
wie Rinke, er brauste nie auf. „Dumm is de," 
behauptete die Mutter, aber die Tochter schüttelte 
den Kopf: nein, dumm war der nicht, er hatte 
einen ganz nüchternen, praktischen Verstand; freilich, 
so wie der Viktor — ach, wie der Viktor! — 
so war er nicht! 
Die Hochzeit rückte immer näher, der Sommer 
war gekommen. Am letzten heißen Julisonntag 
hielt der Garnisonprediger das erste Aufgebot. 
Der Leutnant von Clermont hörte es, er war 
gerade zur Kirche kommandiert. Von der Pre 
digt hatte er nicht viel vernommen, seine Ge 
danken waren abgeschweift, nun, da der bekannte, 
oft genannte Name fiel — Josefine! —, zuckte 
er zusammen. So bald schon heiratete sie! 
Und sie stieg vor ihm auf in ihrer ganzen blonden 
Frische. Er hörte wieder ihre volle Stimme, ihr 
heiteres Lachen; am Fenster stand sie und sang 
und schaute nach ihm aus, Liebe im Blick. Ja, 
sie hatte ihm den Rhein lieb gemacht, vertraut 
die rheinische Stadt — warm quoll es wieder in 
ihm aus —, er würde sie doch nie vergessen! 
Unlöslich verknüpft blieb sie ihm mit Kindheits 
freuden, mit Jugendlust, sie war eins mit dem 
Rhein, mit dem Rhein! — 
Großmutter Zillges hatte es sich ausgebeten, 
im „Bunten Vogel" sollte die Hochzeit sein an 
statt in der engen Kaserne. Der Feldwebel hatte 
zwar erst heftig dagegen protestiert, aber es half 
ihm nichts, die Weiber waren ihm über; er ließ 
ihnen jetzt viel freie Hand, denn war es nicht 
kleinlich, daheim zu zanken, während außen so 
viel auf dem Spiele stand? In Schleswig- 
Holstein wurden die Dänen besiegt, mit Neid und 
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Ueber Land und Meer. Jll. Okt.-Hefte. XVIII. o.
	        
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