Volltext: Über Land und Meer : deutsche illustrierte Zeitung 3. Band 1902 (44. Jahrgang / 3. Band / 1902)

Uarro! 
FEine ergötzliche Hofgeschichte 
August Sperb 
D 
Dan schrieb das Jahr 1580, und es war 
dðe Sonnwendtag. 
Aus der Tiefe unermeßlicher Forste 
wölbte sich zwischen schwarzgrünen Wipfeln hoher 
Tannen und hellgrün leuchtenden Kronen mäch— 
tiger Eichen und Buchen die kahle Kuppe des 
Hügels empor gleich einem Schädeldache. 
Fern im Westen, über den langgestreckten 
Waldbergen, neigte sich die Sonne hinter zer— 
rissenen Wolken ihrem Niedergange entgegen. Sie 
zog Wasser, und vor den düstern Schluchten hingen 
gigantische Schleier. 
Gegen Mitternacht dehnte sich das bewohnte 
Land hinaus in verschwommene Weiten: smaragd— 
grüne Matten, flimmernde, lichtfunkelnde Felder, 
künstliche Weiher, anzuschauen wie grauglänzende 
Glastafeln, blinkende Dörfer und Märkte. 
Und im Thale drunten, über dem dielgekrümmten 
Flüßlein, lag, umschlungen von ihrem Wasser— 
graben, eingepfercht in ihre zackigen Ringmauern, 
zu Füßen des großen, uralten Schlosses die kleine 
Stadt, und ihre spitzigen Türmchen und hoch— 
giebeligen Häuser reckten sich trotzig empor in die 
Abendluft. 
Auf dem höchsten Punkte der Hügelkuppe 
schichteten höfisch gekleidete Knechte dürres Holz 
und Reisig zu einem niederen Stoße, und ein dicker 
Vogt gah ihnen Weisung. Abseits am Wald— 
rande schmückten lachende Mägde eine gebräunte 
Holzschenke mit Kränzen und Laubgewinden, und 
in den Wipfeln und Kronen summte leise der 
Frühlingswind. 
„So, der hat die richtige Höhe!“ sagte der 
Vogt, trat ein paar Schritte zurück, nahm einen 
Anlauf und sprang schwerfällig über den Holzstoß. 
„Nicht zu hoch und nicht zu nieder, gerade recht,“ 
vollendete er schnaufend und wischte über sein 
rotes Gesicht. 
Die Knechte Mießen einander an und lachten 
verstohlen, die Mägde kicherten und guckten, und 
eine von ihnen rief schnippisch herüber: „Wenn 
Ihr den zwingt, Herr Florian, hernach kann der 
alt' Herr Hofmeister auch noch drüber hüpfen 
heut nacht, trotz Fußgicht und Blähhals!“— 
„Aber Hilde, da muß ich doch bitten, da taxiert 
man einen alten Soldaten zu gering! Ich spring' 
mit meinen fünfundvierzig Jahren noch jeder— 
zeit 4 “ 
„Ins Feuer, nit nur übers Feuer für 'n 
sauberes Mädel!“ sagte einer von den Knechten 
und machte sich am Holzstoße zu schaffen. 
v „Du hältst dein Maul, Hannes!“ befahl der 
Vogt. J 
„Ich hab' nit Euch gemeint, sondern mich, 
Herr Hofpfortner,“ sagte der andre trotzig. 
„Mit meinen fünfundvierzig Jahren spring' 
ich noch —“ wollte der Dicke vollenden. 
„Uebers ganze Fürstentum von Oberhinter— 
rungenau bis Unternagebein, Herr Florian!“ rief 
die Magd. 
„Der richtige Katzensprung das!“ lachte ein 
grauer Knecht. 
Zornig wandte sich Florian: „So spöttlich 
reden geziemt sich einmal nicht, daß du's weißt, 
Zaches. Nicht für einen getreuen Unterthanen 
Zeiner Fürstlichen Gnaden und erst recht nicht 
nsonderheit für einen vom Hofgesinde, der Nah— 
rung und Kleidung und Lohn aus der gnädigen 
Hand nimmt.“ 
„Hab' nit spöttlich reden wollen, hab' nur 
gemeint, der Sprung wär' nit groß, und das 
vird wohl wahr sein!“ verteidigte sich der Knecht. 
„Und Nahrung und Kleidung, ja, das bestreit' 
cch nit; aber mit dem Lohn —?“ Er hielt inne 
ind sah grinsend auf seine Mitknechte. „Mit 
)em Lohn —?“ Er zog seine beiden Hosentaschen 
seraus und schüttelte sie heftig. „Mit dem Lohn, 
zerr Florian, da hapert's diemalen — oder könnt 
Ihr sagen, da klappert's immerdar, Herr Florian?“ 
„Ob du dein Maul hältst!“ rief der alte 
Zoldat. „Ist nun solch ein Schalksknecht und 
Zadducäer wohl auch wert, daß ihm Fürstliche 
Hnaden zuweilen in weiser, wohlmeinender, väter— 
icher Absicht die paar Groschen Lohn allergnädigst 
igenhändig aufheben und sicher verwahren?“ 
„Na, aus der Bibel braucht mich der Herr 
Florian-auch nit gleich zu schimpfen, dazu wird 
sie ja doch wohl nit vorhanden sein!“ murmelte 
der Knecht und steckte die leeren Hosentaschen um— 
tändlich wieder in die Hosen zurück. „Und was 
das Aufheben anlangt, so möcht' ich das jezu— 
veilen schon lieber eigenhändig selber besorgen, 
vill mich aber beileibe nit versündigen an meiner 
sohen Obrigkeit und gnädigen Herrschaft.“ 
Würdevoll wandte sich der Vogt und, Hof— 
»fortner ab und vollendete den Satz, in dem er 
tecken geblieben: „Noch wie 'n Junger von fünf— 
indzwanzig Jahren spring' ich über den Scheiter— 
saufen zur Sonnwendzeit, hab' ich sagen wollen, 
Hilde. Aber wenn mir eine immer das Wort 
orwegschnappt, gleich wie die Henne dem Hahn 
das Korn, hernach —4“
	        
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