Volltext: Über Land und Meer : deutsche illustrierte Zeitung 3. Band 1902 (44. Jahrgang / 3. Band / 1902)

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Ueber CLand und Mmeer 
Er legt den Arm um sie, und wie sie dem 
Hause zugehen, jubelt sie laut: 
„Und nichts Lieberes weiß ich 
Auf der weiten, weiten Welt, 
Als wenn mich der Liebste 
Am Herzen hält!“ 
Jimbo hat ungeduldig den Boden zerstampft; 
sein Herr hat ihn zum ersten Male zu fuͤttern ver— 
gessen; jetzt klopft ihm Gorgio schmeichelnd die 
Flanken und giebt ihm doppelte Ration. Jimbo 
spitzt die Ohren: so zärtlich klang noch nie feines 
Herrn Stimme! 
Am Abend — Bozika ist längst wieder auf der 
Mühle — sitzt Gorgio auf einem Felsenvorsprung 
und lauscht dem Wasserfall; der singt heute lauter 
süße Melodien, und Gorgio kann es gar nicht ver— 
tehen, warum er sie erst heute hört, und wieso 
nur das Rauschen, das ihn stets in den Schlaf sang, 
ihn heute wach hält und ihm eine so heiße Sehn— 
sucht nach Bozika ins Herz trägt. Ob die Wasser 
etwas wissen von seiner Liebe, seinem Glück und 
den Küssen, die sie getauscht? B — 
Die ganze Nacht sinnt Gorgio der Frage nach. 
Jetzt dämmert ihm ein leises Begreifen auf; 
nun ist er es, der hellauf lacht: „Die mir jahraus, 
jahrein die Suppe kocht, ohne je einer andern das 
Recht dazu einzuräumen, die könnte doch nur mein 
Weib sein!“ I 
„So erklärst also du deine Liebe?“ 
Bei ihrer spöttischen Frage erfaßt ihn plötzlich 
pieey ein Bangen: „Was soll der Hochzeitsstaat?“ 
ragt er. VVVVVVD — 
Eefällt er dir nicht? Ich denke, schön müßt 
* din kleiden! Ob ich wohl dein Maß getroffen 
abe?“ —X 
„Hexe! So gehört er mir?“ 4 I 
„Wem anders, als dem ich die Suppe zeit— 
lebens kochen soll?“ —— 
Ach! Bozika, dann eile nur und kündige dem 
Müller den Dienst!“ —RB — 
„Ist bereits geschehen, nächsten Monat bin ichfrei!“ 
Gorgio lacht: „Warst du deiner Sache so sicher?“ 
„Es mußte ja doch sein! Weißt du nicht mehr, 
daß du mich immer der Pliva verglichen und 
Mutter dich den grollenden Vrbas nannte? So 
mußt' ich ja doch zu dir!“ 
Hachlolger der Seeschlange 
Seen die Seeschlange, die früher alljährlich 
um die Zeit der Hundstage in den Spalten 
der Zeitungen auftauchte, sich grollend in die Fluten 
des Ozeans gestürzt hat, wo er am tiefsten ist, um 
nie wieder aufzutauchen, hat die allzeit rege Phan— 
tasie der Reporter sich auf die Tiere geworfen, 
denen die gewöhnliche Meinung geringe Geistes— 
gaben zuweist. Und nach der alten Regel, daß ein 
Bericht um so glaubwürdiger erscheint, je genauer 
die einzelnen Angaben sind, werden naturhistorische 
Beobachtungen mitgeteilt, in denen weder der Name 
des Forschers noch der Ort des Vorfalls fehlt. Ja, 
in den meisten Fällen wird als Quelle des Beriv 
eine ausländische wissenschaftliche Revue angegeben. 
Will man solche Berichte auf ihre Richtigkeit 
prüfen, dann stellt sich sehr oft der sonderbare 
Umstand heraus, daß die als Quelle eitierte Zeit— 
schrift nicht existiert. In journalistischen Kreisen 
ist deshalb schon lange die Ansicht verbreitet, daß 
eine große Anzahl der interessanten Vorgänge aus 
dem Tierreich, die von allen Blättern gern nach— 
gedruckt werden, nichts weiter sind als geschickte 
Erfindungen. Man thut deshalb gut daran, allen 
solchen Schilderungen, die nicht so beglaubigt sind, 
daß sie jederzeit nachgeprüft werden können, mit 
unbegrenztem Mißtrauen zu begegnren. — 
Welchen Umfang das Geschäft mit solchen 
Notizen angenommen hat, kann man daraus er—⸗ 
sehen, daß eine Kontrolle der Tageszeitungen in 
jeder Woche etwa acht bis zehn derartiger Schil— 
derungen zu Tage fördert. Da liest man von einer 
Schildkröte, die in Amerika ein überaus strenges 
Examen auf ihre geistigen Fähigkeiten hat bestehen 
müssen. Sie hat ein kunstvoll gebautes Labyrinth 
durchwandern müssen, um zu ihrem Futternapf zu 
gelangen, und nicht nur diese Aufgabe gelöst, sondern 
bei mehrfachen Wiederholungen den kürzesten Weg 
herausgefunden und fortan regelmäßig benutzt. 
Bei einer zweiten, noch schwereren Prüfung rollte 
die Schildkröte unversehens eine schräge Fläche 
hinab, und so klug war das Tier, daß es sofort 
bdegriff, um wieviel schneller es auf diese Weise an 
sein In gelange. Seitdem läßt die Schildkröte 
sich jedesmal über die schräge Fläche hinabfallen ... 
Einer solchen Geschichte widmen ernsthafte 
Blätter fünfzig Zeilen und darüber ihres ohnehin 
beschränkten Raumes! * 
Sehr beliebt sind auch die Bewohner des nassen 
Elements. Da wurde neuerdings der reehe 
der Fische erörtert und als positive eobachtung 
mitgeteilt, daß jeder Lachs zum Laichen genau 
n denselben Quellbach zurückkehrt, in dem er 
elbst aus dem Ei geschlüpft ist. Wer die Beob— 
achtungen angestellt hat, wurde leider nicht berichtet, 
dagegen wurde allen Ernstes behauptet, daß „man“ 
ꝛinzelnen Lachsen metallene Bänder um den Leib 
zelegt hat und die so bezeichneten Tiere dann 
mmmer an der Stelle wiederfand, von der sie 
stammen. 
Der selige Freiherr von Münchhausen würde, 
wenn er noch lebte, an solchen Geschichten seine 
helle Freude haben. Es ist ja geradezu unglaublich, 
vas hier der Leichtgläubigkeit des deutschen Lese— 
publikums zugemutet wird! Bekanntlich wandert 
der aus dem Ei geschlüpfte Lachs, sobald er eine 
gewisse, ziemlich geringe Größe erreicht hat, aus 
den Bächen, wo er geboren ist, dem Meere zu und 
steigt erst, nachdem er mehrere Pfund schwer ge— 
vorden ist, wieder zu den Ouellen hinauf, um 
selbst dort zu laichen. Ein metallener Ring, den 
man ihm in frühester Jugend um den Leib legt, 
würde — die erforderliche Befestigung vorausgesetzt 
— den Fisch nicht nur am Wachstum hindern, 
sondern wahrscheinlich seinen Tod herbeiführen! 
Die ganze Geschichte erinnert lebhaft an die 
in alten Chroniken lebenden Hechte, die ebenfalls 
auf Ringen das Datum ihrer Geburt mit sich 
herumtragen. 
Man hat es augenscheinlich bei einer ganzen 
Anzahl solcher Berichte mit einer verschmitzlen
	        
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