Volltext: Braunauer Kalender 1910 (1910)

„Hingehängt? Nirgends, gesessen hab' ich auf ihn, hier auf meinen Stuhl 
hatte ich ihn gelegt und mich darauf gesetzt." 
„Wenn Euer Gnaden darauf gesessen haben, muß Euer Gnaden — —" 
„Krutzitürken! Jetzt geht mir ein Licht auf." 
Sämtliche herbeigeeilten Marqueure riefen einstimmig: „Aha!" 
„Sternhagel! da ist vordem ein Mann an mich herangekommen und sagte, ich 
möchte ihm das Tageblatt erlauben — ich säße darauf." 
„Und haben Euer Gnaden darauf gesessen?" 
„Zum Henker! nein, auf meinem Rock hab ich gesessen!" 
„Schanen's Euer Gnaden, da hat der Mensch eben ihren Rock fürs Tageblatt 
gehalten und hat den fortgenommen. O! o! Das ist ein Malheur, gewiß ein 
Malheur! O! o! o!" 
„Deubel noch einmal! Das sind ja nette Spitzbuben in Wien! Mein Rock! 
mein schöner, funkelnagelneuer Rock!" 
Nun erschien der Wirt, bedauerte ebenfalls ganz unendlich den herben Verlust 
und meinte, es sei jedem die größte Vorsicht anzuempfehlen, da leider in der letzten 
Zeit viel Rockmarder aufgetreten seien. — 
Während sich Strobel noch in Verwünschungen erging, betrat ein eleganter junger 
Mann das Lokal. Sein Blick fiel auf Strobel, und ihn einige Sekunden fixierend, 
stürzte er aus diesen los unb rief: „Onkel! Onkel! Herzensonkel! Du in Wien! sei 
willkommen." — Dann umarmte er ben völlig Verblüfften unb fuhr fort! „Nein! 
wie gut Du aussiehst! Wie wohlgenährt! Wie blühenb! O, wie ich mich freue." 
— Dann umarmte er ihn wieber. Strobel konnte sich bet lebhaften Begrüßungen 
bes jungen Mannes kaum erwehren; enblich stammelte er: 
„Hast Du denn meinen Brief schon bekommen?" 
„Nein. Ah! Du hattest mir geschrieben, Du wolltest mich also besuchen?" 
Diskret zogen sich sämtliche Kellner zurück. 
„Na, sage mir bloß, wie kommst Du denn hierher?" 
„Zufall, Onkel! Reiner Zufall! Ich komme hier herein, um eine Taffe Kaffee 
zu trinken, ba erkenne ich Dich unb drücke Dich nun an mein Herz." 
„Laß nur, laß nur — hm, hm — Du siehst für zwanzig Jahre eigentlich 
etwas alt ans!" 
„Das viele Studieren, Onkel! 
„Du hattest boch vor acht Jahren blonbe Haare?!" 
„Das viele Nachdenken macht bie Haare bnnkler, Onkel." 
„Sage mal, hm — boch halt! Kellner, bringen Sie eine Flasche Wein!" 
„Für mich keinen Wein, Onkel! Ich trinke eine Tasse Kaffee." 
„Lu bist wohl sehr solibe auf einmal! Du trinkst keinen Wein?" 
„Ja, bie Examen nahen, unb ich muß mich zusammen nehmen." 
„Das freut mich, wenn Du Dich grünblich besserst. Du hast viele Schulben 
gemacht, — ich will sie biesesmal noch begleichen, dann mußt Du aber sparsamer 
leben. Heute Abend will ich noch wieder fort. Es gefällt mir nicht hier, man be¬ 
stiehlt mich an allen Ecken und Kanten." 
„Bestohlen hat man Dich! O diese Elenden!" 
„Ja, diese Schufte! Aber sage mal, wie groß sind eigentlich deine Schulden?" 
„Weißt Du, lieber Onkel, — laß uns darüber nachher eingehend sprechen." 
— Der Neffe sah nach der Uhr: „Leider habe ich keine Minute länger Zeit. Ich 
muß fort ins Kolleg." 
„Na, na, so eilig!“
	        
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