Volltext: Innviertler Heimatkalender 1925 (1925)

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Das Volkslrecl. 
Line kurze IDürdigung von Dr. Josef f)aimerl. 
Wie wir an allen Menschen, welche neben- und hintereinander 
denselben Fleck Erde bewohnen, gemeinsam äußere Merkmale und 
'übereinstimmende Eigenschaften erkennen, wie man aus der Sprech¬ 
weise und dem mehr oder weniger melodlienhasteN 'Tonfall auf 
die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Volksstamm schließen kann, 
so gibt das Volkslied über das Leben, die Sitten, Gebräuche, und 
obendrein über die Herzensbildung derer Ausschluß, die es singen: 
„Es ist in der Tat die mündliche UebeEeferuug des Volkslebens/ 
(Stibler.) 
Wer sich etwas eingehender mit den alten Liedern beschäftigt, 
wer diese einfachen Weisen genauer kennen lernt, der muß seine 
Freude dran haben. — Eine mit Bildern und Zier gegen bänden 
überladene Wohnung sagt uns 'weniger zu als das schön einge¬ 
richtete, sauber gehaltene deutsche Heim. Ebenso erwärmt uns eine 
ganz moderne, mit allerlei Kunstkniffen geführte Weise nicht so 
wie ein altes deutsches Volkslied. So schön auch und verdienstvoll 
die Pflege des Kunstliedes ist, die Volksweisen sollen darüber nicht 
vergessen werden, weil sie Gemeingut und jedem leicht zugänglich 
sind. Es ist beispielsweise nicht jedermanns Sache, Hugo Wolf zu 
verstehen. In, dessen „Karwoche" schwebt die Singstimme plastisch 
über der Begleitung uni) geht ihren eigenen Weg voll von Klage 
und tiefem Schmerz, während ans dem Klaviere Glockenklang, das 
Jubel» der Vögel und frommer Choralgesang tönen. Nur der Ge¬ 
schulte kann bei solchen Liedern währen Kunstgenuß empfinden. Im 
Volksliede hingegen finden alle das, was sie anheimelt und an¬ 
zieht: das Ungekünstelte. Eine Welt des Gefühles tult) sich darin 
auf. „Wie ein Frühlingsmorgen unsere ganze Freude aufjauchzen 
läßt, wie ein blätterjagender Herbststurm unser ganzes Weh auf¬ 
peitschen kann, so bringt ein Volkslied unser Fühlen zu heftigem 
Stürmen oder sonnigem Selbstbesinnen." 
Beim tieseren Eindringen in die Volksweisen und heim Stu¬ 
dium des Volksliedes lernen wir von jenen die lebensfähige Kraft 
kennen, ans der dieses so viel des Guten und Echten geholt hat. 
Franz Schubert hat seinen Ausgang vom Volksliede genommen; 
und unter den Kirchenchorwerken Haydns erfreut sich die Maria¬ 
zeller Messe wegen ihrer Volkstümlichkeit der größten Beliebtheit. 
In allen deutschen Gauen beginnt es sich zu regen. Die volks¬ 
bildnerischen Bestrebungen werden in den Vordergrund gerückt. Hat 
man schon genügend darauf hingewiesen, welche erzieherischen Werte 
in unserem heimischen Liede ruhen? 
Bei den Griechen, deren Gesetze und Künste heute noch auf 
uns wirken, bildeten Musik und Gesang geradezu die Grundlage 
allen Unterrichtes. Glaubens- und Sittenlehre wurden auf dem 
Wege des Gesanges mitgeteilt, jede körperliche Arbeit mit einer be¬ 
sonderen Art von Liedern begleitet. 
Die gegenwärtige wahnsinnige Teuerung hinterläßt ihre bösen 
Spuren auch im Gemütsleben. Der Großteil der Bevölkerung kann 
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