Volltext: Innviertler Heimatkalender 1912 (1912)

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Sie neigte den Kopf vor, um besser zu hören, denn jetzt mußte ihr Sohn, ihr 
einzig Kmd doch nein darauf sagen. Aber er schwieg und sie blickte mit großen, 
glanzlosen Augen starr nach den beiden. 
, Wieder verging eine Weile, der Perpendikel der Schwarzwälder Uhr, die an 
der Wand hing, hatte ein gar eigenes Ticken, das in der Luft nachzitterte 
Das junge Weib erhob sich. „Man sagt Dir nit geh, noch bleib." Sprach es, 
mdem es ine Schüssel aufgriff und nach der Küche trug. 
Die Alte wendete ihr Gesicht dem Sohne zu, in den Mundwinkeln begann es 
ihr zu zucken und über den Augen schlossen sich paarmal rasch hintereinander die 
Lider, aber er sah vor sich hin zur Erde und sagte nicht: Bleib! Er stand vom 
Stuhle auf und ging zur Tür hinaus. 
Von der Küche her hörte man das junge Weib einigemal lachen unb den jungen 
Dauer pfeifen, es kam wohl nicht vom Herzen, aber nur nichts merken lassen! 
Und bte ©rastn, als sie sich in der Stube allein sah, hüllte das Gesicht in 
chre Schurze und auch der Krampf sie schüttelte, sie erstickte ihr Schluchzen: 
das kam wohl vom Herzen, aber nur nichts merken lassen! 
Sie erhob sich, hauchte in die Schürze und fuhr sich damit über die Augen- 
bann kniete sie vor den Schrank hin, öffnete die unterste Lade, raffte etliche Kleidungs¬ 
stucke und ein Paar Schuhe heraus, band die ersteren in ein Bündel, zog die letzteren 
an und erhob sich vom Boden; einen Augenblick stand sie schweratmend'inmitten der 
Stube und blickte um sich, aber rasch trippelte sie nach der Tür, die ins Freie 
führte, dort tauchte sie bie Finger in ben Weihbrunnbehälter, segnete ben kleinen 
Raum, bekreuzte sich unb öffnete leise bie Tür. 
Die Schneeflocken stoben ihr ins Gesicht unb ber braufenbe Sturm versuchte 
sie nach ber Hütte zurückzudrängen. „Laß mich, bu bummer SBinb," greinte sie 
»du bist ba brtnnen nit Herr. Sie wollen mich nimmer!" Unb ba half er ihr vor¬ 
wärts kommen, fuhr ihr im Rücken heran unb nötigte sie zu laufen. Das war ibr 
aber auch nicht recht. } 
Fehl konnte sie nicht gehen, es war eine breite Straße, bie burch ben Walb 
und nach dem nächsten Orte führte, an dessen Ende das „Arme-Leut-Haus" taa 
utü) weiter ging ihr Weg nicht. Es soll da drinnen zwar auch nicht frtedfant zu- 
gehen unb was bte Gemeinde widerwillig gibt, das verzehren die Pfründner unter 
Gekeife unb Haber, aber ba hat eben keines vor betn anbern etwas voraus hat nie 
Es betn anbern Lieb unb Guttat erwiesen unb wenn sie stritten, so gingen bie 
? ,e ^r' konnten erzürnen und ärgern, aber sie gingen nicht zu Herzen 
und taten weh! ^0^0 
Ach, wie so weh, baß es gar nicht auszusagen ist! 
fie "'it festzusammengekniffenen Lippen, gegen bett Sturm an¬ 
kämpfend, ihren Weg verfolgt, jetzt ließ bas Brausen unb bas Wehen plötzlich nach, 
etn ruhiger gleichmäßiger Schneefall trat ein unb bie Schotterhaufen bie in Strecken 
von etwa hunbert Schritten beidseitig längs ber Straße aufgeschichtet waren be¬ 
gannen sich mit einer bichten, flaumigen Hülle zu überziehen: Die Schritte ber Alten 
würben unsicher, sie stolperte über einen Stein unb glitt an einem ber Geröllhügel 
nieder. Der Schnee stob weg unb einige Kiesel flatterten herab. Ein heftiger Schreck 
beste! sie als thr bte Kraft versagte unb sie sich nicht aufzuraffen vermochte, bann 
gab sie sich mit ber aufgezwungenen Rast zufrieden, sie hatte sich eben übernommen; 
ruh etn wenig, bann gehts schon, aber fein mit Bedacht, der größere Teil Weaes 
liegt hinter. Nun überkam sie eine einschläfernde Müdigkeit. Sie fühlte keine ihrer 
Hände, die tu den Schnee faßten, noch die Flocken, die ihr ins Gesicht fielen
	        
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