Volltext: Innviertler Heimatkalender 1912 (1912)

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die Trennungslinie bezeichnet und wieder verborgen durch den" überaus glücklich auf¬ 
gestellten Dietmarbrunnen. Nun aber macht — wie Tietze bemerkt — die üppige 
Fassade des Rathauses gegen die Rathausgasse geradezu aufmerksam auf diese 
Trennung, mit anderen Worten, sie zerreißt den einheitlichen Charakter des Platzes 
auch in dieser Hinsicht. 
Nicht so groß ist die Geschmacklosigkeit bei der Bezirkshauptmannschaft, obwohl 
auch hier das Dachmotiv am unrechten Ort verwendet ist. 
II. 
Wenden wir uns nun den anderen Neubauten zu, so wollen wir zunächst jj 
einen Blick werfen auf die neuerstandenen Stadtteile. Bauen: es ist eine heikle 
Sache. Unsere großen Städte sind sehr rasch groß geworden. Immer größere Massen 
strömten in ihnen zusammen, die beherbergt werden wollten. Da mußte schnell I 
gebaut werden. Noch schneller wuchsen die Bodenpreise, noch rascher die Spekulation. 
Da mußte billig gebaut werden. So entstanden jene entsetzlich öden Straßenzüge 
mit ihren furchtbaren Mietkasernen. Und dabei ist aber billig .bauen nicht einmal 
billig gebaut. Man spart an Mauerdicke und muß daun umsomehr Geld ausgeben 
für die Beheizung. Man spart überall und muß dann umsomehr zahlen für ewige 
Reparaturen! Nur die Spekulanten hatten Gewinn. 
Aehnlich — im kleinen — war es in Ried. Die Stadt wuchs schnell und 
neben der Billigkeit stellte man auch hier nur die eine Anforderung an die Häuser, 
-aß sie dem notdürftigsten Zwecke dienen sollten; daß man in ihnen eben Unterkunft 
fände. Wir sprachen ja schon von diesen Neubauten in ihrer primitiven Form, die 
durch angeklebten, billigen, unorganischen, häßlichen Schmuck verziert sein sollen. 
Das gilt von Neuried, dessen erste Anlage ans 1839 zurückgeht, das gilt von der 
Mehrzahl der Häuser in der Bahnhofstraße und ihren Nebenstraßen, nicht minder 
von „Neu-Elend" und den anderen Bauten an der Peripherie der Stadt. Mit Recht 
kann man dagegen sagen: „Bauen bedeutet mehr als das Herstellen von Unter- 
tuustsräumen für den Zuwachs der Bevölkerung. Bauen bedeutet mehr als eine 
Kapitalsanlage zur Schaffung neuen Kapitals. Banen bedeutet das Schaffen neuer, 
höherer Lebensbedingungen für Körper und Seele." (Gustav Langen.) Ziemlich große 
Summen werden bei jedem Neubau auf lange Jahre hinaus festgelegt. Ist es gleich- 
giltig, ob sie gut angelegt werden oder schlecht? Es ist nicht mehr Sache des ein¬ 
zelnen, der baut, und sein Vor- oder Nachteil, sondern Sache der Gesamtheit, .die 
geschädigt wird, wenn bei einem Neubau nicht alle Forderungen, die praktischen 
sowohl wie die idealen, erfüllt werden. Die idealen Anforderungen an ein Hans be¬ 
wegen sich natürlich in den weitesten Grenzen. Eine Einschränkung tritt aber infoferne 
«in, als sie doch bei den Angehörigen eines und desselben Berufes ziemlich einheit¬ 
lich sind. Wie also das Stadtbild im ganzen abhängig ist von den Lebensbedingungen 
der Stadt, so das Bild des einzelnen Hauses von den Lebensbedingungen des 
einzelnen. 
Aber was will man denn! Billig soll gebaut werden. An Material kann man 
doch nur bis zu einem gewissen Grade sparen. Also spart man an dem anderen 
Preisfaktor, der geistigen Arbeit, der Arbeit des Ersinnens und Erfindens und Ge- 
staltens, und baut nach einem Muster ganze Reihen und Straßen: sowohl in der 
primitivsten Form des Hauses als in der „besseren" Billenform. 
Für uns, die wir uns die Pflege des Heimatlichen zur Aufgabe gestellt haben, 
erhebt sich hier noch eine andere große Schwierigkeit. Wir haben erkannt, daß die 
alten Bauten Charakter haben, das heißt, daß sie die Sonderart des Landes und 
Bodens, des Menschen und seines Geschmackes ausprägen; Daß aber heute bei der
	        
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