Volltext: Innviertler Heimatkalender 1912 (1912)

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Reichtum und Macht unb Kultur haben hier nichts mitgesprochen an der Entwicklung 
und Ausprägung des Stadtbildes. 
Freilich können wir deutlich zunächst zwei Kreise aufweisen: wir haben heute 
noch Gassen, in denen das kleine Holzhaus mit weit vortretendem, steinbeschwertem 
Dache und kleinen Fensterchen oder ein ähnlich gebautes Haus halb aus Stein, halb 
aus Holz vorherrscht. Sie gewähren dem Betrachter einen wenn auch nicht gerade 
städtischen, so doch überaus malerischen Anblick. Man gehe einmal durch die Bräu¬ 
hausgasse (die alte Baderzeile) oder betrachte unsere Abbildung eines solchen Hauses 
am Kapuzinerberge. Daneben haben wir den großen Kreis der Stein- beziehungs¬ 
weise Ziegelhäuser auf den Plätzen und größeren Straßen. Wir haben Nachrichten 
darüber, daß schon um 1400 die wichtigsten Gebäude auf dem Hauptplatze in Stein 
aufgeführt waren; ihren heutigen Charakter aber erhielten diese Häuser um die 
Wenbe des 17. zum 18. Jahrhundert und während dieses 18. Jahrhunderts. Um 
diese Zeit drang auch in Ried jene in fast allen Städten süblich ber Donau übliche, 
wahrscheinlich von Salzburg ans übernommene Bauweise ein, bie ben Giebel der 
Häuser, ber früher spitz ober geschwungen ober getreppt ber Straße zugekehrt war, 
hinter einer geraden Stirnmauer versteckt. Jnsoserne wären ja alle diese Häuser 
ziemlich einheitlich gestaltet und die Vorbedingung geschaffen für einen einheitlichen 
Eindruck. Aber auch hier ist dieser einheitliche Eindruck zerstört worden, zerstört 
an der empfindlichsten Stelle, auf dem Hauptplatze. — Und das ist ja ganz natür¬ 
lich, daß man sich bei der Erweiterung der Stadt während des letzten Jahrhunderts, 
besonders bei der Anlage neuer Stadtteile an diese alte Art nicht mehr hielt. Da¬ 
gegen wäre auch nichts einzuwenden. Eine jede Zeit hat ihren Geschmack, ihren Stil. 
Aber diese Bauten haben eben keinen Geschmack und keinen Stil. Vier weißgetünchte 
Mauern, darüber ein rotes Satteldach, das ist ihr Um und Auf. Selbst wenn man 
billig bauen muß, müßte man nicht so bauen. Nur ein neuer Kreis von Häusern 
ist günstiger zn beurteilen. Es sind die Bauten des leider so früh verschiedenen 
Johann Steibl. 
Das sind die Elemente, die das Stadtbilb von Rieb gestalten. Aber noch habe 
ich keine Erklärung gegeben. Diese liegt in den Lebensbedingungen Rieds. 
Ich will mit der Lage und dem Boden beginnen. 
Auf einem völlig ebenen Boden ist Ried gegründet. Die Straßen und Plätze 
konnten gerade angelegt werden; es bildeten sich keine Winkel und Ecken, die doch 
so malerisch wirken, keine Durch- und Ausblicke, wie wenn die Straße sich krümmt 
und wendet. Nur die Straßen an den Bachrändern sind malerisch geraten. Es gibt 
auch kein Auf und Ab der Gaffen, das die Umrisse der Häuser verschieben würde, 
das etwa das schaffen würde, was man die Poesie der Dächer nennt. Und dann: 
Man hatte genügend Platz. Die Häuser brauchten sich nicht in die Höhe zu ent¬ 
wickeln, es genügte im schlimmsten Falle ein Stockwerk. Sie breiteten sich neben¬ 
einander ans. Das hat auch noch einen zweiten Grund. Ried war nie ein militärisch 
wichtiger, daher nie ein stark befestigter Punkt. Wir hören zwar von Mauern und 
Toren, von einem Pulverturm. Doch hat das keine besondere Bedeutung gehabt 
Man nehme nur das Schicksal des Schlosses! Nach einer, aber recht kurzen Helden¬ 
zeit wählte es sich das ruhige Leben eines Verwaltungsgebäudes und dient jetzt 
sogar als Krankenhaus. Befestigte Plätze mußten mit dem Raume sparen, sollten 
die Mauern nicht allzu weitläufig werben, was ja ihre Verteidigung erschwerte. Sie 
mußten bie Häuser aneinanber brängen unb mußten in bie Höhe bauen. Mit ber 
Voraussetzung einmal ber militärischen Wichtigkeit unb bann ber Größe fiel auch 
diese Ausgestaltung des Stabtbilbes. Unb schließlich müssen wir noch baran denken, 
baß jene Schichten ber Bevölkerung, bie auf Mietwohnungen Anspruch erhoben und
	        
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