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Der Sommerfeldzug 1914 gegen Rußland
sehen Kolonne in das Waldgebiet nordwestlich von Lemberg eintrafen,
war der Abwehrplan der 3. Armee im Norden zusammengebrochen.
Nicht wesentlich besser stand es im Süden, da das VII. Korps meldete,
die vom XII. zurückgelassene Lücke nicht vor dem 3. September aus¬
füllen zu können und auch dies nur, wenn der Feind nicht drücke. Zu
alldem sagte sich GdK. Brudermann, daß die 4. Armee nicht vor Ablauf
von sechs Tagen wirksam werden könne. Während dieser verhältnismäßig
langen Spanne Zeit die örtlich nur durch Erdwälle geschützte Hauptstadt
Galiziens mit immerhin sehr ruhebedürftigen Truppen behaupten zu
können, schien dem Armeeführer ein Beginnen zu sein, das sehr leicht
zum schwersten Übel der ohnehin hart geprüften Armee ausschlagen
konnte. So schlug denn GdK. Brudermann am 2. vormittags dem AOK. vor,
seine Armee „hinter die Wereszyca (mit starken Kräften am nördlichen
Flügel) zu führen, dort ihre Widerstandskraft erneut zu stählen, um dann
bei der Hauptentscheidung wieder mit ihr als entsprechendem Faktor
rechnen zu können".
Nach kurzer Überlegung, wenn auch „schweren Herzens", stimmte
das AOK. eine Stunde später der Preisgabe Lembergs und dem Rück¬
züge der 3. Armee hinter die Wereszyca zu. Seine Kenntnis über die
Lage und die Absichten der feindlichen Ostarmeen ließ viel zu wünschen
übrig. Zumal darüber, ob die russische 3. Armee den nach Süden ge¬
rufenen Korps Auffenbergs im Angriffe begegnen oder bloß in einer
Abwehrstellung auf den Höhen bei Zolkiew entgegentreten würde, ließ
sich aus den Nachrichten nur ein schwankendes Urteil gewinnen. Gewiß
war es nach der Anschauung Conrads wahrscheinlicher, daß der Feind
die Teichlinie der Wereszyca zu umgehen versuchen werde, statt an sie
frontal anzurennen. Wie sich die Dinge in Wirklichkeit auch gestalten
mochten — soweit die 3. Armee in Frage kam, so mochte selbst die Mel¬
dung Brudermanns, daß die 3. Armee sich nach zwei oder drei Tagen
Kampf noch weiter werde zurückziehen müssen, im Hauptquartier nicht
allzu entmutigend zu wirken. Umso entscheidender konnten sich in einem
solchen Falle Auffenberg und zugleich von Süden her die 2. Armee zur
Geltung bringen1).
Entsprechend diesen Erwägungen stellte Conrad der 4. Armee am
3. September in Aussicht, daß sie voraussichtlich von Bel£ec—Uhnów in
geradeaus südlicher Richtung, also auf Niemirów und Magierów, werde
vorzustoßen haben; allerdings könne ein weiteres Zurückweichen der
3. Armee auch eine mehr südwestlich gehaltene Richtung erfordern.
i) Conrad, IV, 630 und 635.