Volltext: Studien zur Weltkrise

seine nicht: denn es steht ja nicht siegreich in Paris und 
Petersburg, es hat Europa nicht umgestürzt und Englands 
Herrschaf: über das Meer nicht vernichtet! Wenn Deutschlands 
Angriff auf Frankreich bei Kriegsausbruch nicht als offensive 
Defensive verstanden werden darf, sondern als eine beabsich¬ 
tigte Eroberung Frankreichs, dann hat Deutschland sein Ziel 
verfehlt und ist als geschlagen zu betrachten. 
Somit bedeutet die Ententeversion für die Entente nicht 
nur das gute Gewissen der Diplomatie, sondern auch die 
Siegesvorstellung in der Strategie. Genau ebenso verhält 
es sich natürlich mit der deutschen Version und Deutschland: 
ist seine Auffassung richtig, so hat ja Deutschland Ansprüche 
auf Genugtuung — wenn nicht für etwas anders so für seine 
gekränkte Ehre, da man sein überfallenes Volk als Bar¬ 
baren beschimpft hat. Man sieht, wie unlöslich die Vor¬ 
stellung vom Kriegsgrund mit der von der jetzigen Kriegs¬ 
lage verkettet ist. Man sieht zugleich, wie verzweifelt un¬ 
möglich dieser Konflikt ist, solange die Vernunft der Völker 
dem Gebot des Glaubens und der Illusion unterworfen 
ist. Die Dinge dürfen nicht für das gelten, was sie sind, 
sondern für das, waS man von ihnen glaubt. Für diesen 
Glauben setzen die Völker dann ihr Leben und Sterben ein. 
Damit sie nicht zweifeln, posaunen die Staatsmänner zweimal 
am Tag ihre Irrlehre aus, bis sie zuletzt selbst daran glauben. 
Denn es handelt sich im Grunde nicht um die Wahrheit, 
es handelt sich um den Sieg. 
Das ist das schlimme Wetter, in dem die Friedenstauben 
ihren ersten Flug gewagt. Und doch, eine Lösung muß kommen 
und zwar in der Richtung auf die Wirklichkeit zu. Das 
bedeutet Resignation auf beiden Seiten, aber vor allem für 
die Partei, die sich in verzweifelter Entschlossenheit am tiefsten 
in falsche Einbildungen vergraben hat. Die Toten müssen ihre 
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