Volltext: Das Trugbild von Versailles

aus der Leopoldinischen Erbschaft hat Belgien dem modemen Imperialis- 
mus zinspflichtig gemacht. Fortan gingen die Interessen Belgiens mit 
denen Englands und Frankreichs eng zusammen, wollte Belgien sich nicht 
in Afrika einem unerträglichen Flankendruck aussehen. Es hat diesen genug 
zu spüren bekommen, bis sein Einschwenken auf der ganzen Linie die bri 
tischen Anklagen über belgische Eingeborenenpolitik am Kongo verstummen 
ließ. Zwei geschichtliche Daten kennzeichnen diese Entwicklung. Am 9. Juni 
1904 hat Grey im Unterhaus die „Kongogreuel" gebrandmarkt, am 
29. Mai 1913 sehte er die Anerkennung der Annexion durch Belgien im 
Parlament durch und lehnte die Wiedererörterung der Eingeborenenpolitik 
ab. Belgien hatte die politische ^Unterstützung der Westmächte gefunden. 
Sie war durch die Entwicklung der Ruteute cordiale vom französisch-eng 
lischen Kolonialabkommen zum ftanzösisch-englisch-mssischen Waffen 
bündnis bedingt, die sich in derselben Zeitspanne vollzogen hatte. 
Belgien war nicht in der Lage, sich zwischen den kontinentalen Groß 
mächten zu behaupten, ohne sich einem der beiden großen Gegenbünde zu 
verpflichten. Neigung, Verlockung und die Erkenntnis, daß Großbritan 
niens Verbindung mit Frankreich und Rußland die Wagschale zugunsten 
Frankreichs füllte, sowie die strategische Überlegung, daß Deutschland in 
einem Zweiftontenkrieg den Weg durch Flandern suchen werde, führten es 
zur Anlehnung an die peripherisch gelagerten Mächte. Es gab seine Neu- 
tralitätnicht auf, aber es ordnete die Landesverteidigung nach neuen Gesichts- 
punkten. Das belgische Gebiet wurde nicht mehr als strategische Einheit an- 
gesehen, nicht mebr als ein in sich geschlossener und nach allen Seiten abge- 
schloffener Zentralraum behandelt, sondern für alle Fälle als Flankenraum 
ausgestaltet.AlleBefesiigungen wurden nach Osten gewendet,Besprechungen 
mit dem englischen und dem ftanzösischen Generalstab gehalten und die bel- 
gische Feldarmee als vorgeschobene linke Flügelgruppe der englisch-ftanzö- 
sischen Leeresmasse ausgebildet und bewegt. Die Zwischenlage wurde 
dadurch im strategischen Sinn peripherisch bestimmt. 
Die Besprechungen, die der belgische Generalstab mit englischen und ftan 
zösischen Fachleuten gepflogen hat, sind weder durch Staatsverträge ge 
stützt, noch durch eineMilitärkonvention bekräftigt worden, und dieNeutra- 
lität galt als gewahrt, da England und Frankreich in ihrem eigenen Inter- 
esse als Bürgen der Neutralität auftraten und es sich lediglich dämm han 
delte, Bereinbamngen für den Fall zu treffen, daß die Deutschen Frankreich 
durch Belgien hindurch zu erreichen trachteten. Die Konstruktion lief aber 
doch auf eine einseitige Bindung Belgiens hinaus und forderte von der 
belgischen Feldarmee den strategischen Aufmarsch im Dreieck Lüttich—Ant 
werpen—Namurund einen Vorstoß in südlich er Richtung, also eine Flanken- 
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