Volltext: Das Trugbild von Versailles

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Aber das stolze Machtgebäude, das die Trümmerwelt des europäischen 
Kontinents gebietend überragte, war nicht so fest gegründet, als es schien. 
Die französische Machtstellung ruhte auf der Konstellation der Verhältnisse 
und wurde vom politischen Willen und den gespannten Energien der Nation 
getragen, Frankreich besaß jedoch nicht mehr die Fülle der Säfte und 
die organischen Kräfte, die zur Bewahrung einer solchen Vormacht 
nötig waren. 
Die französischeMacht stand fremd in der Welt, die sie beherrschte, und war 
trotz ihrer starren Größe in ihrer empfindlichen Statik von jedem Anstoß 
explosiver Gewalten bedroht. Frankreichs überragende Stellung wurzelte 
nicht wie zu Zeiten Ludwigs XIV., Robespierres und Napoleons in der 
eigenen überwältigenden Kraftfülle, sondern zog ihre Stärke aus der Er 
schöpfung, der Schwächung und der dynamischen Zerstreuung der Andern. 
Die Aufrechterhaltung der labilen französischen Machtstellung war zu- 
vörderst an die Entwicklung des englisch-französischen Weltver- 
hältnisses geknüpft. Die britisch geordnete „balance of powers“, die Eng 
land durch das Aufsteigen Deutschlands zur Weltmacht bedroht gesehen 
hatte, war durch die völlige Amkehrung der Verhältnisse und die Zertrüm 
merung des europäischen Staatensystems aufgelöst worden. Der englisch, 
französische Weltgegensatz tauchte, scheinbar schon zu Frankreichs Gunsten 
vorbestimmt, ins Riesenhafte gesteigert, wahrhaft Planetar gestaltet aus 
dem überstreckten Weltkrieg und äffte die Entwicklung der Jahrhunderte. 
D erZwangd erV erhältnisse war einzigundallein durch dieRück- 
kehr Frankreichs an den Rhein geschaffen worden, denn in dieser 
Beherrschung des Rheins wohnte die Legemonie Frankreichs, des großen, 
geschichtlichen, von Westen gekommenen Eroberers des deutschen Stromes. 
Versuchen wir in das I n n e r e des französischen Machtgebäudes zu drin 
gen, das seine Kuppel unmittelbar nach dem Weltkrieg über dem euro- 
päischen Festland wölbte und zugleich mit dem mediterranischen Machtkreis 
unlöslich verbunden schien, so empfängt uns auf der Schwelle der frostige 
Lauch unwohnlicher Leere, aber wir bewundern die große, klare Gliede- 
rung des geschichtlich geordneten Bauwerkes, in dem mediterranisch e' 
und kontinentale Baugedanken harmonisch verbunden lagen. 
Frankreich hat die mediterranische Sphäre seit den Tagen Ludwigs IX. 
in den Kreis seiner Eroberungspolitik gezogen und sich des Primats seiner 
syrischen, ägyptischen und tunesischen Ansprüche nie begeben. Ludwigs Lan 
dung auf Zypern, sein Kreuzzug ins Niltal und sein Tod im Seuchenlager 
von Karthago sind im Gedächtnis des französischen Volkes haften geblieben. 
Napoleons heroisches ägyptisches Abenteuer, die Festsetzung der letzten 
Bourbons in Algerien, die Eroberung Tunesiens und Marokkos und der
	        
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