Volltext: Das Trugbild von Versailles

ihnen Wesentliches zuzufügen oder ihren Sinn und ihre Grundlagen zu 
verändern. England wirkte gleichsam vermittelnd, obwohl es seine Stellung 
an der Seite Frankreichs nicht verließ, während Frankreich, von seinen 
Gefolgstaaten umgeben, die Rolle des Friedensuchers mit vollendetem An 
stand spielte. Deutschland aber sah sich gezwungen, von Anfang an mehr 
für den europäischen Frieden als um seine eigene Erlösung zu kämpfen, 
denn es konnte nicht über seinen Schatten springen und stand zwischen dem 
Vertrage von Versailles und den Satzungen des Völkerbundes eingeengt. 
So geschah es, daß die Vertreter Deutschlands keine anderen Stellungen er 
obern konnten als solche, die der Gegner zu räumen willens war. 
Die Verträge, die in Locarno entstanden und am 1. Dezember 1925 in 
London unterzeichnet worden sind, tragen das Gepräge der Alle bedrängen- 
den Stunde. Der Lauptvertrag rafft das Rheinproblem, das die Ge- 
schichte Europas seit 2000 Jahren bestimmt, in das enggeknüpfte Netz des 
französischen Sicherheitsprinzips. Er führt, historisch betrachtet, den 
Kampf um den Rhein auf die Tage von Utrecht zurück, in denen Frank 
reich sich zum erstenmal in die Abwehr gedrängt sah und vom rechten auf 
das linke Rheinufer wich, ohne auf seine Hegemonische Stellung zu ver 
zichten. Es ist kein Zufall, daß gerade damals ein französischer Ge 
schichtsphilosoph, der Abbe Castel de St. Pierre, einen „Covenant“ 
Wilsonschen Gepräges entworfen hat, der seinem Lande in den eroberten 
Grenzen „Sicherheit" und Europa den Frieden gewährleisten sollte. 
Der Sicherheitspakt,der Frankreich h eute die V ersailler Grenzsetzung 
verbürgen, Deutschland vor französischen Übergriffen bewahren und Eng 
land der unbedingten, unbefristeten Gewährleistung der französischen 
Machtstellung entheben soll, trägt die Unterschriften Englands, Frankreichs, 
Deutschlands, Belgiens und Italiens. Er wird ausdrücklich als ein Sicher- 
heits- und Schutzvertrag eingeführt, der den Frieden in dem Gebiete sichern 
soll, „das so oft der Schauplatz der europäischen Konflitte gewesen ist", und 
will den Signatarmächten im Rahmen der Völkerbundssatzung und der 
zwischen ihnen in Kraft stehenden Verträge „ergänzende Bürgschaften" 
gewähren. Er sei im Umriß aufgezeichnet und von einem Kommentar 
begleitet, der seine Grundzüge zu erkennen sucht, denn der gläserne Bau 
bricht das Licht so mannigfach, daß seine scheinbare Durchsichtigkeit in 
einem bunten Farbenspiel zu ertrinken droht. 
Der erste Artikel gewährleistet den Unterzeichnern die Aufrechterhal 
tung und die Unverletzlichkeit des territorialen Status quo, wie er sich 
aus den Grenzen ergibt, die am 28. Juni 1919 oder in Ausführung des 
damals zwischen Deutschland und Belgien und zwischen Deutschland und 
Frankreich geschlossenen Friedensvertrages festgestellt worden sind, und ge- 
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