Die digitale Landesbibliothek Oberösterreich

XIX. 
Die tragische Sendung Deutschlands 
Nun ist der Kreis völlig geschlossen. Das Trugbild einer neugeordneten, 
zu Ewigem Frieden aufsteigenden Welt liegt fertig vor uns aufgeschlagen. 
Nur von Deutschland und seiner geographischen Schicksalslage, seinem 
geschichtlichen Werdegang, seinem letzten Aufstieg zu kaiserlichem Glanz, 
seiner zerstörenden Wilhelminischen Politik, seinem Leldenkampf, der, ohne 
erkennbare politische Zielsetzung ausgefochten, der auch nach der Unter 
zeichnung des friedenkündenden Vertrages noch kein Ende fand und ein 
entwaffnetes, entrechtetes Volk am Rhein und an der Ruhr, an derWeichsel 
und an der Oder um seine Freiheit ringen sieht — nur von Deutschland, 
dem inmitten der Zirkumvallation gelegenen Lande, ist in diesen Blättern 
im Zusammenhange noch nicht gesprochen worden. Aber seine tragische 
Gestalt steht trotzdem klar umrissen. Sie tritt aus der Geschichte und der 
Entwicklung aller anderen Mächte hervor und empfängt, von ihnen aus 
gesehen, Kontur und Farbe. Alle weltgeschichtlichen Zusammen 
hänge leiten zu ihm hin, in allen strategischen Perspektiven 
erscheint sein Bild. 
Deutschland ist im Jahre 1919 wieder zum Objekt der Politik der um 
wohnenden Mächte herabgesunken. Aber es blieb trotz seiner Ohnmacht eine 
Achtung heischendeGröß e, trotz seiner verstümmelten aufgerissenen Grenzen 
eine geographische Persönlichkeit, trotz seiner inneren Unferügkeit und seiner 
schwach gefestigten republikanischen Staatsform eine tief im Schoße Eu- 
ropas verankerte, zur Wiederaufrichtung strebende Nation. Der Kampf 
Deutschlands um seinen Bestand und der Wiederaufstieg des Deutschen 
Reiches zu souveräner Machtstellung im Staatenbild der Gegenwart be- 
stimmen den Lauf der Entwicklung in höherem Maße, als die Verworren 
heit dieses Ringens erkennen läßt. Die Stellung Deutschlands und des 
Deutschtums im neugeordneten Staatensystem ist das Kardinalproblem der 
europäischen Politik geworden und wirkt als solches auf die Gestaltung der 
ganzen Welt... 
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