Volltext: Das Trugbild von Versailles

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in Tibet und Indien, stäubt über die Berge von Turfan und die Steppen 
der Dschungarei und findet Eingang in Chinas entlegenste Nordwest- 
Provinz Lsin-Tschian. In der Mitte der Ausstellung sammelt sich die 
russische Macht zwischen dem Irtysch und dem Baikalsee. Das mongolische 
Lochland, die Wiege Dschinghischans, aus der der größte Welteroberer 
des Morgenlandes sich erhob, um zwischen dem Gelben Meer und dem 
Schwarzen Meer die größte Militärdespotie der Welt aufzurichten, liegt 
russischen Einflüssen gänzlich preisgegeben. Der Mongole reitet heute nicht 
mehr in die Weite. Seine Volkskraft ist erschöpft und sein Eroberertrieb 
erloschen, aber er lagert noch an der großen Verbindungslinie, die vom 
Baikalsee über Arga durch die Wüste Gobi nach Kalgan, Peking und 
Tientsin zieht. Die Überbleibsel des alten Lerrenvolkes blicken trotz des 
Vertrags, der die äußere Mongolei dem Reiche der Mitte zurückgab, nicht 
mehr nach Peking, sondern werden von Irkutsk und Tschita angezogen. 
Tschita und Irkutsk sind die strategischen Schlüsselstellungen der gen Süden 
gewendeten, kontinental gedachten russischen Aufstellung. 
Versucht man diesen russischen Aufmarsch nach poliüschen Gesichts- 
punkten zu gliedern, so ergibt sich eine Zweiteilung in eine zur Revoluüo- 
nierung iflamischer Völker Vorderasiens und eine zur Revoluüonierung 
der buddhistischen Völker Loch- und Ostasiens aufgerichtete Front. Das 
moskowiüsche Rußland der vorpetrinischen Zeit, das sich in Kiptschak 
und Karakorum vor dem Throne des Dschinghisenkels Kublai Khan 
niederwarf, ist als Weltrevoluüonär nach Asien zurückgekehrt. Es wird 
vielleicht die Früchte nicht ernten, die es unter Persern, Turkmenen, 
Afghanen, Tibetanern und Mongolen sät, denn vieles deutet auf ein 
nationales Erwachen der morgenländischen Völker, aber es ist die einzige 
Macht, die sich solcher Mittel bedienen kann, um ihre poliüschen Ziele in 
Asien zu fördern und die ganze Welt des Ostens, einDrittelderMensch- 
heit, in Bewegung zu setzen. Das wird vielleicht nicht gelingen, aber wir 
dürfen nicht an dieser Vorstellung vorübergehen, denn sie malt die planetare 
Bedeutung und Größe des Kampfes, der sich in der eurasischen Raumüefe 
und auf dem von drei Konünenten umrahmten flüssigen Ensscheidungsfeld 
des Süllen Ozeans vorbereitet. 
DieBetrachtung wendet sich von dieser Erscheinung wieder dem Trugbild 
von Versailles zu und gipfelt in der Feststellung, daß die Zurückdrängung, 
dieRußland in Europa erfahren hat, den Mächten, die ihm diese Beschrän 
kung auferlegt haben, in Asien als Stauung an den Grenzen ihrer 
überseeischen Lerrschaftsgebiete vergolten wird. Roch ist diese Ausstellung 
schemaüsch gebunden, noch waltet die russische Macht in unerfüllten Riesen- 
räumen zerstreut, noch vermag die Sprengkraft, die dem wandelbaren
	        
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