Frankreich und das Hegemonialsystem
Die GrenzenEuropas haben nie festgestanden. Sie sind im Norden
und im Westen ozeanisch bestimmt, zerfließen im Osten im eurasischen
Raume und werden im Süden durch das Mittelmeer so eng mit den Gestaden
Afrikas und Vorderasiens verknüpft, daß sie sich in den Randländern der
herandrängenden alten Erdteile verlieren. Die mediterranische Welt erschien
den Alten nicht ohne Grund als der innere Kreis der großen Ökumene, um
den sich die bekannten und die unbekannten Länder der Ferne peripherisch
ordneten, obwohl fern im Osten ein Reich der Mitte blühte, das sich mit
Recht so nennen durfte.
Als derRömer Gallien und Britannien, die Stromgebiete des Rheins
und der Donau eroberte, dachte er nicht daran, das poliüsche Schwergewicht
zu verlegen, sondern verrückte nur die Peripherie seines mediterranisch
gebundenen Weltreiches, dessen Längsachse sich zwischen den Säulen des
Herakles und dem Zusammenfluß des Euphrats und des Tigris streckte.
Auch die bedeutungsvollste transalpinische Eroberung, die dem Römer
gelang, die des cäsarischen Galliens, war nicht als abgerundete kontinentale
Erwerbung gedacht, sondern mediterran bestimmt. Die Rhein-Rhonelinie
erscheint als die große strategische Bewegungsflanke, aus der der Römer
Gallien beherrschte, die auf dem linken Rheinufer sitzengebliebenen und die
aus das rechte Äser und ins Stromdelta gebannten Germanen bedrohte und
Britannien in Schach hielt. Wer sie besitzt, ist heute noch Herr über die
westlich gelagerte mediterranische Zone und die östlich gelagerte kontinentale
Zone und gebeut im Innern des Festlandes bis zur Iller und zur Weser.
Erst als Gallien sich von dem versinkenden Römerreiche löste und die
Stromgebiete des Rheins und der Donau sich von der Mittelmeerwelt son
derten, trat der europäische Kontinent als politischer Raum in Erscheinung.
Die Franken wurden die ersten Raumerfiiller eines kontinental gedachten
Reiches, und die Pippiniden, die den Rhein in die meridionaleAchse riickten,
seine Vollender.