Volltext: Das Trugbild von Versailles

land abermals gm Westen vordringt und das Schwergewicht wieder von 
der Moskwa und vom Don an die Düna und die Weichsel verlegt, wird 
der Finne noch einmal zur Selbstbehauptung aufgerufen. Dann wird 
auch er sich wieder nach einer Anlehnung umsehm müssen, die den Freistaat 
Finnland und seine 9 200 000 Seelen vor dem Aufgehen im Russentum 
bewahrt. Ein Bund der Randstaaten und ein Bündnis dieser mit Polm 
wird dazu nicht genügen. 
Finnland darf sich keiner Täuschung darüber hingeben, daß es heute schon 
in der Abwehr kämpft, denn es befindet sich nicht im Vollbesitz seiner 
strategischen Landlungsfreiheit. Es ist vom Onegasee und vom Weißen 
Meere abgedrängt, und der Russe steht auf der Halbinsel Kola und an der 
Murmanküste tief in seiner Nordostflanke. Die Ostgrenze Finnlands mtbehrt 
der natürlichen geographischen Schranken. Als Russen und Finnm am 
14. Oktober 1920 zu Dorpat Frieden schlossen, verlor Finnland das 
Swirglacis, das durch die Landschaft Olonez gebildet wird und das Ein 
fallstor zwischen dem Ladogasee und dem Onegasee beherrscht. Es behaup- 
tete an der Küste des Eismeeres nur einen schmalen Streifen zwischen der 
norwegischm Grenze und der Murmanküste, dm es weder befestigen noch 
zu einer Flottenbasis ausbilden darf. Finnland ist außerdem verpflichtet 
wordm, die Befestigungen an der sinnischm Südküste vor den Toren Kron 
stadts zu schleifen und die Inseln des Finnischen Golfs zu neutralisieren. 
Da Rußland dadurch die Murmanbahn, die Kronstadter Reede und die 
Fahrt unter der finnischen Küste gesichert sah, fiel es ihm nicht schwer, die 
Unabhängigkeit Finnlands anzuerkennen, zumal da Finnland 
nicht nur den Anschluß an Schweden vermied, sondern auch die A a la n d s - 
inseln gegenüber schwedischen Ansprüchen behauptete. 
Als Finnland sich mit Schweden über den Besitz der Aalandsinseln 
zerstritt, vollzog es zum erstenmal eine Verkehrung der geschichtlichen Front. 
Sie ergab sich aus der Eigenstaatlichkeit, die, an die älteste Geschichte an- 
knüpfend, den Besitz der Inselgruppe zu fordern schien. Es war ein Kamps 
um die fliegende Brücke, die sich in Gestalt des Klippengewirrs der Aalands 
inseln von der schwedischen zur finnischen Küste zieht und zugleich eine starke 
Sperre und eine zentrale Flankenstellung am Eingang des Bottnischen 
Meerbusens bildet. Schwedm machte vergebens historische und ethnische 
Rechte auf die Inseln geltend, rief umsonst das Selbstbestimmungsrecht 
der Völker an—Finnland trug, auf England und Frankreich gestützt, die 
Inseln als sicheren Besitz davon. 
Schweden hat in diesem Streite nichts verloren, was es im 19'. Jahr- 
hundert besessen hatte, und hat in einem selbständigen Finnland eine Grenz 
wehr gegm Rußland gewonnen, aber es ist der geschichtlichm Gelegen-
	        
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