Volltext: XIV. Jahrgang, 1909 (XIV. JG., 1909)

Nr. 17. 
Oberösterreichische Bauzeitung. 
Seite 135. 
zelnen, zu ersetzen. Solche Selbständigkeit zu gewinnen, 
sind aber die heutigen Bildungsmittel des Künstlers keines¬ 
wegs förderlich. Auf der Akademie werden die Natur¬ 
studien weder naiv noch gründlich genug betrieben, um 
dem Künstler eine Herrschaft über die Natur zu er¬ 
möglichen. 
Bei der weiteren Entwickelung des Schülers wird ihm 
ein Stil — wie er gerade die Anstalt beherrscht — 
„beigebracht“, und nur zu oft hört man die Klage: Könnte 
ich doch das vergessen, was ich gelernt habel (Es ist 
hier der feine Unterschied zwischen Stil und Manier zu 
beachten: dieselbe Ausdrucksform die — aus dem Innern 
des Stoffes hervorgegangen — Bedürfnis war, sinkt vom 
Stil zur Manier herab, wenn sie von außen einem angewöhnt 
wird.) 
Dieser Stil, wie ist er nun entstanden? In der Zopfzeit 
hatte der pathetische Pomp und die ausschweifend ver¬ 
schwenderische Formenverwendung bis zur Erschöpfung 
überhand genommen, und der übersättigte Gaumen ruhte 
sich in der dürftigen Zierlichkeit der Napoleonischen Zeit 
ein wenig aus: da fand das Verlangen nach freier und 
doch maßvoller Form ihre Vertreter in einigen aus¬ 
gezeichneten Männern, die aus Italien Anregung zu neuem 
Schaffen holten. Unter dem Einfluß dieser Männer hat sich 
die Art, wie man heutzutage historische Gegenstände 
behandelt, ausgebildet und der Kornelianische (für die 
religiöse Kunst der Overbeck’sche) Stil sind unter ver¬ 
hältnismäßig geringen Modifikationen maßgebend ge¬ 
worden. Diese Art, die Körperformen und Gewänder auf¬ 
zufassen, diese Art der Linienführung und der Affekt¬ 
äußerungen gewöhnen sich die jungen Leute an. In diese 
Form (die den Bedürfnissen des Schöpfers derselben, 
aber auch nur diesem angemessen war), die die jungen 
Leute einmal gelernt haben, sind sie wohl oder übel ge¬ 
zwungen, alle ihre Gedanken auszusprechen, die zu 
behandelnden Gedanken sind aber nicht mehr einförmig, 
wie ehedem vor der Reformation und die heterogensten 
Dinge müssen nun in derselben Maske auftreten. 
Vor allen Dingen wäre es, um diesem Übelstande 
abzuhelfen, die Pflicht der Akademien, ihre Institutionen 
so zu gestalten, daß sie die Freiheit des Einzelnen bei 
tüchtiger Ausbildung des Könnens befördern, damit ihm 
sowohl die freie Wahl des Motivs als auch die selbständige 
Ausführung möglich wird. Vor allen Dingen ist die Be¬ 
rufung geistvoller Kunsthistoriker an die betreffenden 
Lehrstühle der Akademie ein dringendes Bedürfnis; denn 
nur durch einen weiten, freigebildeten Blick ist’s dem 
Künstler möglich, gegen die Sirenenstimme der Mode 
fest zu bleiben und seinen Sinn für das Echte in der 
Kunst im Gegensatz zu dem vorübergehend Blendenden 
zu schärfen. 
Dann muß das Studium in den verschiedenen Klassen 
so eingerichtet werden, daß der Charakter einer trägen 
Tretmühle verschwindet und bei vollständiger äußerlicher 
Freiheit ein innerer Trieb geweckt wird meinetwegen durch 
künstliche Mittel, wie monatliche Ausstellung aller Ar¬ 
beiten und Preisverteilungen. Und endlich müßten als 
Lehrer solche Professoren berufen werden, die den Be¬ 
dürfnissen der Schüler und ihrer Richtung in würdiger 
Weise entsprechen. 
Vor allem aber muß mit dem Kultus der akademischen 
Tadellosigkeit gebrochen werden, welcher auf dem geist¬ 
losen Prinzip beruht, daß ein Kunstwerk zur Voll¬ 
kommenheit „hinaufkorrigiert“ werden könne; einem 
Prinzip, das auch von der planlosen Anhäufung lobender 
und tadelnder Bemerkungen, im besten Fall durch geist¬ 
reiche Apergus schmackhaft gemacht, befördert wird, 
durch welches das Publikum so unendlich zartfühlend 
geworden ist, daß es keinen ganzen Kerl vertragen kann. 
Diese Tyrannei des künstlerischen Orthodoxismus benimmt 
jeder selbständigen Individualität die Wucht der Schöpfer¬ 
kraft und es sind gerade die strebsameren Künstler, die 
den altbetretenen Weg verlassen wollen, am meisten der 
Gefahr ausgesetzt, bei jedem Pinselstrich vorsichtig zu 
prüfen, welcher unter den vielen möglichen der einzig 
nicht falsche ist: so büßen sie ein gut Teil künstlerischen 
Schwung ein. 
Unwillkürlich denkt man hier an unsere Technik, die 
ein nicht abzulösender Teil des allumfassenden Stils ist. 
Wir fragen uns, wo haben die alten Meister die hinreißende 
Beredsamkeit des Pinsels her, diese Keckheit des Vortrags, 
welche nachzuahmen keinem glücken will; woraus schöpften 
sie diese imponierende Zuversicht, die selbst Unrichtig¬ 
keiten dem Bereich des Tadels entrückt, jene geniale 
Ungeniei theit, die oft große Bildflächen total vernachlässigt, 
ohne das Ganze zu stören? Und doch ist ihnen dabei 
nichts fremder als Koketterie; nichts sieht so aus, als 
wenn es nur durchaus schön gemalt sein sollte, und ists 
doch. Diese famosen Figuren, von oben bis unten in 
einem Zuge hingeschrieben, wie man sie bei Velasquez, 
Rubens, Tizian u. a. sieht, hätten sie beim heutigen 
Korrektheitsschwindel gedeihen können? Kommt es nicht 
daher, weil diese Meister gleich von Anfang an die Natur 
in ihrer Anwendung kennen lernten und studierten ? Ihre 
Lehrer brachten sie in der Werkstatt zur Ausführung 
von schlecht bezahlten Bildern, bis sie endlich selbständig 
arbeiteten. So haben sie es vom Hause aus gelernt, die 
Natur ihrer Kunst dienstbar zu machen und konnten sie 
daher wirklich beherrschen. Dieser Bildungsgang ist heute 
nicht mehr praktisch durchzuführen, aber ersetzt muß 
der verlorene Vorteil werden, indem der Künstler beim 
Schaffen das Ziel des Ganzen nie über die einzelnen Partien 
aus dem Auge läßt. 
Eine große Versuchung, auf Abwege zu geraten, ist 
dem Künstler durch die Ausstellungen geschaffen. Erzeugt 
durch die Gier, im großen Gewirr der Bilder den Blick 
des übersättigten Beschauers auf das eigene Bild zu 
ziehen, verfällt der Künstler immer auf einen neuen 
launischen Einfall, um durch das Frappante zu fesseln 
und durch Absonderlichkeiten Aufsehen zu erregen. 
Als eine der schlimmsten, weil die Wahrheit nach¬ 
äffenden Richtungen, welche durch solch unkünstlerisches 
Jagen nach Effekt hervorgerufen ist, erscheint das Streben 
nach jeder falschen Einfachheit, die nicht in einem großen 
Wurf, sondern in großer Leerheit besteht. In dem bunten 
Tohuwabohu der großen Bilder-Ausstellung freut das 
Auge sich, wenn es endlich auf einer ruhigen Fläche sich 
erholen kann, und findet daher, durch den Kontrast 
getäuscht, ein Behagen an großen Flächen, die — z. B. 
wenn es Landschaften sind — weiter nichts als Luft 
und flaches Weideland mit etwa einer Gruppe von zwei 
oder drei Bäumen darstellen. Werden solche Bilder aber 
auf die ruhige Wand eines Privatzimmers gebracht, dann 
kommt ihre Dürftigkeit und Inhaltsleerheit zum Vorschein 
und der „glückliche“ Besitzer ist erstaunt darüber, daß 
er daran hat Geschmack finden können. 
Die Natur in ihrer Wahrheit — und diese Wahrheit 
ist Verbindung von Reichtum und Einfachheit — zu stu¬ 
dieren und wiederzugeben, wird nur die Aufgabe des 
ersten Stils bleiben.
	        
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