Volltext: XIV. Jahrgang, 1909 (XIV. JG., 1909)

Seite 134. 
Öberösterreichische Bauzeitung. 
Nr. 17. 
nicht übersteigt, wird von der Anstaltsinspektion be¬ 
willigt, die Gewährung höherer Beträge, bezw. die Aus¬ 
lösung zurückgehaltener Mobilien unterliegt der Ge¬ 
nehmigung der städtischen Armendirektion. Die Beher¬ 
bergung und Verpflegung erfolgt vorbehaltlich des Ein¬ 
satzes der Kosten durch den definitiv unterstütungs- 
pflichtigen Armenverband, bezw. falls der Unterstützte 
später in günstigere Verhältnisse kommen sollte, durch 
diesen selbst. Durchschnittlich sind im Familiendach 
täglich 60 bis 70 Familien und 40 einzelnstehende Per¬ 
sonen untergebracht. Hinter dem Vorderhause für ob¬ 
dachlose Familien liegt das Gebäude für nächtlich Ob¬ 
dachlose. Dasselbe ist in Barackenform errichtet und hat 
20 Schlafsäle) deren jeder 60 bis 70 Personen faßt und 
mit ebensovielen hölzernen Pritschen ausgestattet ist; 
desgleichen befindet sich an jedem Ende eines Saales 
eine Waschtoilette für je drei Personen. Die Ventilation 
der Schlafsäle ist gut. Die Heizung wird durch warme 
Luft bewirkt und zwar zeigen auf dem Korridor ange¬ 
brachte Thermometer den Stand der Temperatur an, 
welche sich ebenfalls vom Korridor aus je nach Bedarf 
erhöhen und erniedrigen läßt. Jeder Obdachlose hat sich 
bei seinem Eintritt einem Bad zu unterziehen. Die Bade¬ 
einrichtung ist derartig, daß 20 Personen zu gleicher 
Zeit baden können und zwar sind sowohl Brause- als 
Wannenbäder vorhanden. Während die Personen sich im 
Bade befinden, erfolgt die Desinfektion ihrer Kleider etc. 
in einem im Souterrain gelegenen Desinfektionsofen, 
welcher durch Fahrstühle mit dem Baderaum in Ver¬ 
bindung steht. Es können in einem Zeitraum von 20 bis 
25 Minuten die Effekten von 20 Personen vom Unge¬ 
ziefer etc. befreit und den Inhabern wieder übergeben 
werden. 
Die Aufnahme der nächtlich Obdachlosen beginnt um 
4 Uhr nachmittags und dauert bis 2 Uhr nachts. Im 
Ausnahmsfalle werden jedoch zum Beispiel durchreisende 
Fremde etc. auch später eingelassen. Jeder bis abends 
8 Uhr Aufgenommene erhält abends 9/io Liter Suppe, zu 
der 60 Gramm Mehl, 5 Gramm Butter und 5 Gramm Salz 
verwendet werden. Eine gleiche Quantität Suppe und 
Brot erhält jede Person morgens beim Verlassen des 
Obdaches. Wer das Asyl fünfmal, wenn auch in Zwischen¬ 
räumen, in Anspruch nimmt, wird, wenn er nicht den 
Nachweis erbringt, daß er trotz seiner Bemühung keine 
Arbeit gefunden, auf Grund der am ersten Tage eröffneten 
Unterkunftsauflage dem Polizeipräsidium zur Bestrafung 
vorgeführt. Jugendliche Obdachlose werden, soweit es 
der Raum gestattet, von den Erwachsenen getrennt 
untergebracht. Kranke werden an jedem Morgen dem 
Arzt zur Untersuchung vorgeführt und nötigenfalls so¬ 
fort dem Krankenhause überwiesen. Obwohl, um einer 
weiteren Überfüllung der Anstalt vorzubeugen, ein 
ständiges Arbeitsnachweisbureau errichtet ist, finden die 
Obdachlosen doch häufig selbst Arbeitsgelegenheit bei 
Handwerkern, in Fabriken oder bei Eisenbahn- und 
Straßenbauten. Abgesehen von dem heilsamen Einfluß 
der im Asyl herrschenden Ordnung auf die Obdachlosen, 
hat die Anstalt den großen Vorzug, daß die Polizei die 
Hauptstrolche bei der Hand hat, was nicht hoch genug 
angeschlagen werden kann. 
Vorstehende Mitteilung der Anstaltdirektion ver¬ 
öffentlichte zur allgemeinen Kenntnisnahme der Verfasser 
dieses Aufsatzes vor zehn Jahren in der „Oberösterreichi¬ 
schen Bauzeitung“, wofür ihm Herr Bürgermeister Poche 
den vollsten Dank aussprach. 
Die nochmalige Veröffentlichung nach einer so ge- 
-raumen Zeit soll den Zweck haben, die Angelegenheit 
nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Kornhoff er. 
Aus der Kunstgeschichte. 
Je weiter wir in der Kunstgeschichte zurückgreifen, 
umsomehr war es zunächst die Architektur, die in den 
öffentlichen Gebäuden Trägerin des Stils, als Ausdruck 
der leitenden Zeitideen, wurde und auf die übrigen 
bildenden Künste und deren Stil maßgebend einwirkte; 
schon durch den abhängigen Platz, den diese in der 
Architektur einnehmen, waren sie dazu genötigt. Mit 
der Freiheit des individuellen Privatlebens haben sich auch 
Skulptur und Malerei freigemacht; und die Architektur 
hat ihre Herrschaft, die sie bisher selbst auf alle Erzeugnisse 
der Industrie bis zum Stickmuster und Kochlöffel hinunter 
übte, eingebüßt. Sie ‘ selbst entlehnt ihre Formen bald 
dieser, bald jener Epoche und meist wird der Künstler 
nur durch Studium und Reflexion abgehalten, Ungehöriges 
zusammenzuschweißen, was dem Ungeschicktesten in alter 
Zeit nicht passieren konnte. 
Das Handwerk hat, trotz der krampfhaften Be¬ 
mühungen ihrer kapriziösen Alleinherrscherin, der Mode, 
keine neuen Formen auftreiben können; es ist auf keinem 
Felde gelungen, unserer Zeit einen überzeugend zeit- 
gemässen Stil abzuringen. Den Kulturhistoriker könnte 
diese Beobachtung zu interessanten Resultaten führen: 
vielleicht würde er den Grund finden, daß es erst der 
Zukunft Vorbehalten sei, all das überreich sich ansam¬ 
melnde Material der Erkenntnis der neuen Zeitauf¬ 
gabe — der Idee der politischen Freiheit — dienstbar -zu 
machen und alle Verhältnisse von dieser durchdringen 
zu lassen, während in alten Zeiten allen Lebensbeziehungen 
eine von der Zeitidee abhängige Bedeutsamkeit beigelegt 
wurde. 
Nach der antiken Zeit diente bis zum XVI. Jahrhundert 
die Kunst fast ausschließlich der Kirche und wenn sie 
dabei auch hie und da im Handwerk stecken blieb und 
in Konventionalität verfiel, d. h. die einmal angenommenen 
Formen ohne selbständigen Zeugungsprozeß reprodu¬ 
zierte, so wird' sie doch im allgemeinen gehoben und 
getragen von der die ganze gebildete Welt bewegenden 
großen Idee. Nach der Reformation rang sich das Indivi¬ 
duum zu selbständiger Gefühlsäußerung los; wenn es 
noch durch die Umstände in Lehnspflicht der Kirche ge¬ 
halten wurde, wußte es doch das Angenehme mit dem 
Unvermeidlichen zu verbinden. Ein Paul Veronese mußte 
auch Kirchenbilder malen, aber diese Vorwürfe dienten 
ihm nur als Vorwand, sich in der Freude an dem Glanz 
der stolzen Venezia ergehen zu dürfen. So sinds oft 
untergeschobene Kinder. Bis die allgemeine Meinung gegen 
die Mannigfaltigkeit des Stoffes toleranter wurde, da sie 
nicht mehr so durch die Hierarchie beengt war, verschafften 
die Künstler ihren persönlichen Bestrebungen im Kirchen¬ 
habit Eingang. Mit der zunehmenden Virtuosität kommt 
es nun auch öfter vor, daß die Idee ausbleibt und der 
Künstler in seiner Lust am Malen es versäumt, auf einen 
besonderen Einfall zu warten; dennoch haben diese 
Bilder eine Großartigkeit der Technik und einen Reiz 
des Vortrages, der uns noch heute imponiert. 
Nachdem nun diese Einheitlichkeit der Strömung die 
jeden Einzelnen mitnahm, aus der Welt gewichen ist, gilt 
es vor allen Dingen, diese nicht mehr wiederzubringende 
Kraft durch eine andere, die Selbständigkeit der Ein-
	        
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