Volltext: XIII. Jahrgang, 1908 (XIII. JG., 1908)

Seite 4. 
Öberösterreichische Bauzeitung. 
Nr. 1. 
Das größte Haus der Welt. 
Das Heer der Europareisenden, das jetzt heimwärts 
flutet, findet bei der Einfahrt in den Neuyorker Hafen 
das Bild der Stadt etwas verändert: Aus dem Wolken¬ 
kratzer-Meer „Downtown“ ist jetzt nämlich ein Neubau 
herausgewachsen, der sich hoch über jedes andere Bau¬ 
werk der Stadt und wie man sagt, auch der Welt erhebt. 
Es ist dies das Singer-Gebäude am unteren Broadway, 
das jetzt bis zum 41. Stockwerk gediehen ist, [damit ist 
es noch nicht fertig, es wird ihm noch ein sechs Stock¬ 
werk hoher Turm aufgesetzt und damit wird die Höhe 
dieses Riesen unter den Bauwerken Neuyorks auf 612 Fuß 
steigen, 200 Fuß über jeden bisherigen Wolkenkratzer. 
Das Gebäude macht den Eindruck eines riesigen Turmes, 
man muß nämlich in Neuyork, besonders im Geschäfts¬ 
viertel, mit dem Grund und Boden recht haushälterisch 
umgehen, da er 700 Dollar pro Quadratfuß kostet und so 
nehmen denn die Bauwerke immer mehr einen turmartigen 
Charakter an. 
Nach den Plänen, die bis in die kleinste Einzelheit 
ausgearbeitet worden sind, wird der Neubau 86.000 Tons 
(zu je 2200 Pfund) wiegen. Dabei ist jede Niete und jeder 
Nagel berechnet worden; denn die ganze immense Eisen¬ 
konstruktion mit Mauern und Fußböden, kurz das ganze 
Gebäude, ruht auf 89 Stahlsäulen, die 90 Fuß unter der 
Erdoberfläche in festen Felsen eingemauert sind und alle 
Spekulationen richten sich darauf, daß jede Säule un¬ 
gefähr das gleiche Gewicht zu tragen bekäme. Allent¬ 
halben, wo es angängig ist, wurde an Gewicht gespart. Das 
Singer-Gebäude wird einige Neuerungen aufweisen, die 
man selbst in den modernsten Wolkenkratzern noch 
vermißt. 
Die Bewegungen der einzelnen Lifts werden von 
einem Zentral-Bureau aus geregelt, von wo aus der Chef 
der „Liftboys“ jedem seine Anweisungen mit Elektriscli- 
licht-Signalen und auch durch Fernsprecher zukommen 
lassen kann. 
Das Gebäude wird so viele Lampen erfordern, wie 
eine kleine Stadt, über 15.000, die sämtlich von einer in 
der Nähe des Fundaments befindlichen Kraftanlage ge¬ 
speist werden. In jedem Zimmer des Gebäudes wird aus 
einem Kranen Trinkwasser laufen, das filtriert und mit 
einem Kühlapparat je nach der Jahreszeit temperiert ist. 
Eine weitere Neuerung ist eine nach dem Vakuum-System 
eingerichtete Reinigungsanlage. In jeder Office befindet 
sich eine „Aufsaugebürste“, die im Nu den Rock oder 
einen Hut von allem Staub befreit. Für die Reinhaltung 
der Bureaus selbst ist eine solche Anlage natürlich sehr 
wichtig. Der Staub wird in das Souterrain geleitet. Auf 
dem Turm wird ein riesiger Scheinwerfer zu finden sein, 
dessen Licht man noch auf eine Entfernung von 100 bis 
130 Kilometer wird sehen können, das heißt, wenn dieser 
neue Wolkenkratzer nicht von anderen eingeschlossen 
wird. Die in einiger Entfernung befindliche Metropolitan 
Life Company wird zum Beispiel jetzt auf ihren Riesen¬ 
bau noch einen Turm setzen, der 49 Stockwerke, von 
der Straße aus gerechnet, hoch sein wird. Andere „hoch¬ 
fliegende“ Ideen sind noch im Werden, ein Neuyorker 
Baugenie hat sogar die Pläne für ein 150 Stockwerk 
hohes Gebäude schon fix und fertig, es fehlt ihm — nur 
noch das Kapital dazu; er glaubt, er werde die Sache, 
den Grund und Boden nicht mit eingerechnet, für 20 bis 
25 Millionen Dollars machen können. Der Bau des 
Singer-Gebäudes kostet 11/2 Millionen Dollars. 
Einiges über die Vergebung von Bau¬ 
arbeiten. 
Von einem hiesigen Bauunternehmer. 
Es ist eine Tatsache, daß die Art und Weise, wie 
von Seiten mancher Behörden Bauarbeiten vergeben 
werden, weder geeignet ist, die Annahme des Wohl¬ 
wollens zu bekräftigen, welches bei der Behörde gegen 
den Arbeitnehmer vorausgesetzt werden muß, noch das 
Baugewerbe in seinem Gedeihen zu fördern. Was zu¬ 
nächst die Kontrakte anbetrifft, welche diese Behörden 
mit den Bauunternehmern abschließen, so geschieht deren 
Abfassung noch nach dem Grundsätze, daß der eine, 
nämlich die Behörde, alle Rechte erlange, dagegen der 
andere, nämlich der Übernehmer, sich allen Pflichten 
unterziehe. 
Es wird in diesen Kontrakten über das strenge Ge¬ 
richt hinausgegangen, indem unter den Verbindlichkeiten, 
die der Bauübernehmer einzugehen hat, auch die sich 
befindet, daß er sich des Rechtsweges begibt und sich 
lediglich dem Urteile der kontrahierenden Behörde unter¬ 
wirft. Unter den sonstigen Bedingungen, die sich gewöhn¬ 
lich als gesonderter Anhang dem Kontrakte anschließen, 
befinden sich alle Kautelen, die einerseits juristische 
Theorie, anderseits aus der Praxis entnommene Eventuali¬ 
täten zugunsten des Übergebenden herleiten lassen. 
Wenn dennoch nichtsdestoweniger bei der Vergebung 
von Bauten behördlicherseits sich zahlreiche Bewerber 
finden, ja wenn sich, was konstatiert werden muß, Über- 
nehmungslustige in Überzahl einfinden, im Unterbieten 
sich überbieten, durch diese Wettbewerbung aber noch 
die Behörden in ihrer Methode bestärken, so ist der 
Grund hievon ganz anderswo zu suchen und wird in ganz 
anderen Absichten gefunden. Zunächst kann man auf¬ 
stellen, daß häufig Bauten, welche Behörden vergeben, 
des Geschäftes selbst wegen, welches dabei gemacht werden 
soll, nicht übernommen werden. 
Dies ist aber schon ungesund, ist schon ungeschäfts¬ 
mäßig und angetan, das Baugewerbe in seinem Betriebe 
zu schädigen. 
Im allgemeinen wird bei der Übernahme von behörd¬ 
lichen Bauten auf Gnade und Nachsicht von Seiten der 
übergebenden Behörde gerechnet. Man sagt sich, die Ver¬ 
geber werden wohl selbst einsehen, daß diese schematischen 
Bedingungen nicht wörtlich rigoros genommen werden 
können, da sie in dieser Fassung und Forderung häufig 
gar nicht durchzuführen sind. Allein solche Gedanken- 
Ausgänge, die hier leider zur Notwendigkeit, zur, man 
muß sagen, Geschäfts-Usance werden, sind schon nicht 
zu rechtfertigen, sind in einem Rechtsstaate gar nicht 
an der rechten Stätte. Andere wieder, die sich behörd¬ 
lichen Submissionen unterwerfen, setzen ihre Hoffnung 
auf die Zukunft; sie kalkulieren, wenn sie auch bei diesem 
Geschäfte mit Einbuße davon kommen, so erlangen sie 
dadurch Anwartschaft auf ein zweitesmal. Allein sie be¬ 
denken nicht, daß beim zweitenmale sich alles wieder 
bis auf den kleinsten Punkt wiederholt. Dritte wieder 
hegen bei der bedenklichen Übernahme solcher Bauten 
die Absicht, daß hiedurch ihr Materialvorrat wieder zum 
Teil geräumt werde, oder daß sie auf diese Weise ihren 
Kredit erweitern, oder daß sie ihren Leuten entgegen- 
kommen und sie weiter beschäftigen können. Allem dem 
muß man das Verlangen nach Reform entgegensetzen. Ein 
Geschäft muß bei gesunden Verhältnissen lediglich des 
Geschäftes wegen übernommen werden können.
	        
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