Volltext: X. Jahrgang, 1905 (X. JG., 1905)

Seite 190. 
Öberösterreichische Bauzeitung. 
Nr. 22. 
herbei. Ich bin vom künstlichen Standpunkte aus Freund 
und Erhalter des Malerischen, aber auch zugleich prak¬ 
tischer Verwaltungsbeamter, der mit den modernen 
Fragen des Stadtlebens so vertraut ist, daß er von Ein¬ 
seitigkeit sich fernhält und nur brauchbare ästhetische 
Grundsätze ausspricht. 
Nicht der Blick von oben auf den Stadtplan ist zur 
Beurteilung desselben maßgebend; Symmetrie und Bilder, 
die in Wirklichkeit nur bei der Vogelschau hervortreten, 
sind nebensächlich. Wichtig sind diejenigen Bilder sym¬ 
metrischer oder malerischer Art, die sich dem Auge des 
1-7 bis 1*8 Meter hohen Menschen entwickeln, wenn er 
in dem Straßennetz umherwandert. 
Die Verwalter und Vertreter einer großen Stadt, die 
eine Geschichte hat, deren Spuren heilig sind, dürfen 
sich erst recht nicht bloß auf die Anforderungen des 
Verkehrs beschränken. Sie haben sich stets daran zu 
erinnern, daß sie ein Gemeinwesen vertreten, das in der 
Kunstgeschichte eine Rolle spielt und dessen Bürger zu 
allen Zeiten ihren Stolz darin setzten, die Vaterstadt zu 
verschönern. Nun sind aber keineswegs die vom Ingenieur 
festzusetzenden Verkehrsanforderungen des modernen 
Lebens ungeeignet, künstlerische Lösungen hervorzu¬ 
rufen. Die Baumeister werden weit schönere und wert¬ 
vollere Werke schaffen, wenn sie alle örtlichen Eigen¬ 
tümlichkeiten aufmerksam beobachten und erhalten, als 
wenn sie damit anfangen, alles zu nivellieren und dann 
auf leerer Fläche monumental sein sollende Kullissen er¬ 
richten, hinter denen die Leute sich nach ihren Be¬ 
dürfnissen einrichten mögen. Man scheue sich nicht, 
eine Straße zu krümmen, um einen Turm, ein schönes 
Baudenkmal als Ziel zu gewinnen. Aber auch hiebei ist 
Mäßigung nötig. Wollte man eine kleine gotische Kirche 
an das Ende, einer langen Straße setzen, so würde, man 
den Reiz ihrer Erscheinung, der uns an einem kleinen 
Platze so wohltuend erfaßt, vernichten. 
Gesundheitliche Forderungen nötigten die Stadt¬ 
verwaltungen, durch Gassengewirr und Wohnungselend 
weite Straßendurchbrüche zu eröffnen und für weit¬ 
räumige Anlagen der neuen Stadtteile zu sorgen. Aber 
wir sind keine Amerikaner. Uns genügt nicht ein Straßen¬ 
schachbrett auf säuberlich geebnetem Boden. 
Durch Pflanzungen und Parkanlagen können Aus¬ 
sichtspunkte, die bei dem einförmigen Fortschritt der 
Bebauung verloren gehen, gerettet, herrliche Fernblicke 
erzielt werden. 
Anstatt das harte, regelmäßige Straßenschema über 
das Gelände der Vororte auszudehnen, sollte man mehr 
von der natürlichen Gestalt der Oberfläche Nutzen ziehen. 
d. r. 
Arbeitslosenfürsorge in England. 
Einem Artikel im „Berliner Tageblatt“ (vom 9. Au¬ 
gust 1905) entnehmen wir folgende Ausführungen: „Die 
Frage der Arbeitslosenfürsorge wird kaum in der Form 
der ausschließlichen Versicherung praktische Gestaltung 
annehmen, sondern man wird das Augenmerk in erster 
Linie darauf richten, dem Arbeitswilligen, dem es infolge 
ungünstiger Konjunkturen des Arbeitsmarktes an Be¬ 
schäftigung mangelt, vor allem Arbeitsgelegenheit zu 
verschaffen. Denn es liegt auch vielleicht die Vermutung 
nahe, daß für den Fall des Bestehens einer staatlichen 
obligatorischen Arbeitslosenversicherung die Arbeitgeber 
die ihnen doch in gewissem Grade obliegende moralische 
Verpflichtung, ihre Arbeiter, soweit wie angängig, auch 
bei geringerem Geschäftsgänge und bei matter Saison 
weiter zu beschäftigen, leichter nehmen, die Arbeiter, 
da sie ja versichert sind, entlassen und damit die Zahl 
der Arbeitslosen nur vermehren würden. Auf der anderen 
Seite wird der arbeitslose Arbeitnehmer, wenn er in der 
Zeit seiner Arbeitslosigkeit einen rechtlichen Anspruch 
auf eine ausschließliche Geldunterstützung von Staats 
wegen erheben kann, die Beschaffung neuer Arbeits¬ 
gelegenheit sich vielleicht weniger angelegen sein lassen, 
als wenn er weiß, daß man in erster Linie bestrebt sein 
wird, ihm andere Arbeit zuzuweisen und dann erst, wenn 
dies nicht gelingt, bare Geldunterstützurig zu geben. 
Von grundlegendem Interesse ist daher nach der 
angedeuteten Richtung hin der augenblicklich in Eng¬ 
land vorliegende Arbeitslosenfürsorge-Gesetzentwurf, der 
als Unemployd Workmen Act zitiert wird. 
Der Unemployd Workmen Act-Entwurf sieht zunächst 
die Gründung zweier besonderer Arten von Körper¬ 
schaften, nämlich Lokal- und Zentralausschüsse (local 
body, central body) vor. Die ersten sind den letzten 
untergeordnet. Das Gesetz, das zunächst und zwar für 
London den Versuch darstellen würde, die Überweisung 
von Arbeit an Arbeitslose mit behördlicher Unterstützung 
zu regeln, stellt an die Spitze jedes Verwaltungsbezirkes 
je einen Lokalausschuß, der sich aus bestimmten Beamten 
des betreffenden Verwaltungsbezirkes zusammensetzt. 
Seine Aufgabe besteht darin, daß er sich über den 
Stand des Arbeitsmarktes innerhalb seines Verwaltungs¬ 
bezirkes ständig auf dem Laufenden erhält und unter¬ 
richtet ist, wie sich Überangebot von Arbeit und 
Arbeitsmangel dort verteilen. 
Arbeitslose, die sich nun in einer der Lokalstellen 
melden, erhalten, nachdem die Behörde geprüft und fest¬ 
gestellt hat, daß es dem Petenten ernstlich um Arbeit 
zu tun ist, das heißt seine Würdigkeit und Bedürftigkeit 
außer Zweifel steht, von dort aus private Arbeitsgelegen¬ 
heit* zugewiesen; Kann er innerhalb des Verwaltungs¬ 
bezirkes im Augenblick keine Arbeit überwiesen be¬ 
kommen, so wird sein Gesuch der Zentralstelle zur Er¬ 
ledigung zugeteilt. Hieraus ergibt sich schon die Haupt¬ 
tätigkeit dieser Zentralstelle, die an der Spitze der Graf¬ 
schaft London steht und in sich sowohl Mitglieder des 
Londoner Grafschaftsrates wie Vertreter der Lokalämter 
vereinigt, sich übrigens auch durch außerordentliche 
Mitglieder noch ergänzen kann, nämlich wie die Lokal¬ 
ausschüsse innerhalb ihres kleinen Bezirkes so für den 
Bezirk der ganzen Grafschaft London ausgleichend auf 
den Arbeitsmarkt zu wirken und die Arbeitsuchenden 
innerhalb des größeren Gebietes dahin abzulenken, wo 
lokaler Mangel an Arbeitskräften vorhanden ist. Das 
kann so geschehen, daß der Arbeitsuchende einem 
anderen Ort zugewiesen wird, wo Arbeiter verlangt 
werden oder auch in der Weise, daß die Zentralstelle 
an der Hand ihrer Vakanzenlisten u. s. w. direkt Arbeits¬ 
gelegenheit verschafft. Daneben soll aber die Zentralstelle 
über die Lokalausschüsse auch die Aufsicht führen. 
Gleichzeitig aber hat der Gesetzentwurf auch Be¬ 
stimmungen über die Lohnfrage getroffen. Die Fest¬ 
setzungen lassen sich dahin kurz zusammenfassen, daß 
der Lohn etwas unter dem Durchschnittslohn der un¬ 
gelernten Arbeiter stehen soll. Das Motiv für diese Be¬ 
stimmungen liegt auf der Hand. Dem Arbeitslosen soll 
über die vorübergehende Zeit seiner Verdienstlosigkeit 
hinweggeholfen werden, in der Zeit ungünstiger Kon¬
	        
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