Volltext: X. Jahrgang, 1905 (X. JG., 1905)

Seite 12. 
Oberösterreichische Bauzeitung. 
Nr. 2. 
Bemerkungen über unsere kunstgewerb¬ 
lichen Zustände. 
Es ist wohl eine längst fühlbar gewordene Tatsache, 
daß in kunstgewerblicher Beziehung auch in Deutschland 
den künstlerischen Bestrebungen nicht jene Unter¬ 
stützung zuteil wird, die eine mächtige Entwicklung 
dieser Berufe fördern würde. Hierüber äußerte sich ein 
Fachmann in Dresden wie folgt: Es sei bedauerlich, daß 
es zu einem Stillstand in unseren kunstgewerblichen 
Bestrebungen gekommen sei und zwar deshalb, weil die 
Gewerbetreibenden vom Staat sowie vom Publikum nicht 
in der wünschenswerten und notwendigen Weise, weder 
durch Ankauf noch durch Bestellungen unterstützt 
würden, daher sie gezwungen seien, wieder einfachere 
Gegenstände, die jedermann braucht und kauft, anzu¬ 
fertigen. 
Das Publikum halte wohl auf schöne und elegante 
Kleidung, kaufe aber doch die Möbel in den billigsten 
Magazinen, Auktionen, wohl gar in Abzahlungsbasaren, 
sowie auch und leider vor allem in den 50 Pfennigbasaren 
und staffiere seine Wohnungen mit diesem billigen Plunder, 
mit sogenannten Neuheiten, als Streitäxten, Jockeymützen, 
Zylinderhüten, hohlen Köpfen und Elefanten als Aschen¬ 
becher, Engeln als Klingelzüge, Tempeln als Tintenzeuge, 
Kartenspielen und Schachbrettern als Manschettenknöpfe 
und was des Unsinns und Ungeschmacks mehr ist, aus 
und sei überhaupt noch nicht von einem guten geläuterten 
Geschmack durchdrungen. 
Trotzdem es jetzt eine grosse Anzahl Künstler und 
Kunstgewerbetreibender gäbe, die auch Tüchtiges zu 
leisten imstande seien und auch leisteten und trotzdem 
der Staat mit bedeutenden Mitteln Akademien, Kunst¬ 
gewerbe- und Handwerkerfachschulen unterstützte, för¬ 
dere er doch nicht die Kunst, noch weniger aber das 
Kunstgewerbe, indem er wohl Produzenten, aber keine 
Konsumenten, keine Käufer für kunstgewerbliche Arbeiten 
erziehe. 
Vor allem aber sei es notwendig, daß das Vermögen 
besitzende Publikum zum Verständnis am Schönen und 
Stilvollen erzogen werde, daß es Freude an schönen, 
formvollendeten Arbeiten habe, dieselben auch kaufe und 
bestelle. Auch in dieser Beziehung sei es, wie in so 
mancher anderen, in Frankreich besser; in unserem 
Nachbarlande'wird schon seit 200 Jahren die Kunst mit 
bedeutenden staatlichen Mitteln gepflegt und damit der 
gute Geschmack ins Volk eingeführt. Es würden dort 
nicht nur die Lehrwerkstätten für Kunst- und Gewerbe¬ 
treibende gefördert, sondern der Staat sei auch selbst 
Besteller, indem nicht nur die Museen des Landes mit 
diesen mustergültigen Arbeiten bereichert werden, auch 
die Schlösser und Parlamentsgebäude, die Rathäuser, 
Kirchen, die Wohnungen der hohen Staatsbeamten etc. 
werden mit eleganten und reichen Möbeln, Teppichen, 
Porzellan und Gemälden, Bronzen und Figuren, mit 
Malereien und Schnitzereien, mit Marmor und Bronze¬ 
kaminen geschmückt. 
In den deutschen Volksschulen sei das Zeichnen 
(wenn auch da noch in untergeordneter Weise) eingeführt, 
in den Gymnasien wird wohl recht viel Lateinisch und 
Griechisch, Zeichnen aber nur in zwei unteren Klassen 
und in ganz ungenügender Weise gelehrt. Als Ent¬ 
schuldigung wird angeführt, daß die Gymnasien Be¬ 
suchenden nicht zeichnen zu können brauchten, was ein 
bedauerlicher Irrtum ist, da es im späteren Leben von 
Ärzten etc. sehr wohl und oftmals gebraucht und bitter 
empfunden wird, daß sie es nicht gelernt haben. Hier 
an diesen Schulen, wo die Vermögendsten des Landes 
hingehen, wo diejenigen ihrfe Bildung empfangen, die 
später den Staat leiten, die Städte regieren sollen, hier 
auf diesen Schulen muß Zeichnen, Kunstanschauung, 
Stillehre etc. eingeführt, der Sinn für das Schöne, Gute 
und Wahre gepflegt und gefördert werden und, wenn 
dies in ordentlicher und richtiger Weise geschieht, erst 
dann kann es besser werden, dann erst wird das Kunst¬ 
gewerbe auf die Stufe gehoben, wo es stehen sollte. — 
Baden hat den Anfang bereits gemacht und das Zeichnen 
in seinen Gymnasien eingeführt; auch wir sollten bei 
den Regierungen petitionieren, daß das Zeichnen nicht 
nur in den Volksschulen mehr gepflegt, sondern auch in 
den höheren Schulen eingeführt würde und daß auch 
Mittel zur Unterstützung des Kunstgewerbes ausgeworfen 
würden. Denn wenn der Staat Kunstgewerbetreibende 
durch seine Schulen bildet, hat er auch die Pflicht, die¬ 
selben zu beschäftigen, ihnen Arbeit und Verdienst zu¬ 
zuweisen! (Und bieten hierzu nicht auch die Einrichtungen 
unserer Schlösser, Rathäuser, Kirchen, Parlamentsgebäude, 
Sammlungen, Postgebäude etc. die schönste Gelegenheit? 
— Nur dürfen alsdann auch diese Arbeiten nicht an den 
„Mindestfordernden“ oder an einen Unternehmer, sondern 
nur an wirklich Ausführende vergeben werden.) 
P^erner müssen Kunstgewerbehallen geschaffen werden, 
die nicht, wie es vielfach geschehen, als Verkaufsläden 
angesehen werden sollten, sondern bei freiem Eintritt für 
jedermann und zu jeder Zeit zugänglich sind und in 
welchen neben mustergültigen schönen Arbeiten auch 
schlecht ausgeführte zur Anschauung gebracht werden. 
So würden sich dann vermögende Leute wohl hüten, 
„Schund“ zu kaufen und in ihre Wohnungen aufzunehmen. 
Neben den unsinnigen Neuheiten, den Zylinderhüten, 
Jockeymützen, den hohlen Köpfen und Tieren, den 
Pferdeeimern, die als Aschenbecher dienen, stelle man 
wirkliche, richtige Aschenbecher, neben Tempeln und 
hohlen Früchten, die als Tintenfaß benützt werden sollen, 
stelle man ein wirkliches und schöngeformtes Tintenfaß. 
Alsdann sollten auch ganze Industrien, ganze Arbeits¬ 
methoden m ihrer Entwicklung vorgeführt werden, wie 
dies auch im Berliner Völkermuseum, wie auch in der 
Bergakademie bereits geschieht, zum Beispiel die Bronze¬ 
industrie. Dann würden die Modelle, die Gußformen, 
die Gußstücke, unbearbeitet sowie gefeilt, ziseliert, ge¬ 
brannt, gebeizt etc. nebst Beschreibung auszustellen sein, 
um dem Publikum nicht nur den Entwicklungsgang zu 
zeigen, sondern auch damit dasselbe sieht, wie viel Mühe, 
Sorgfalt und Fleiß die Herstellung mancher Gegenstände 
bedingt, um so zu zeigen, daß die Arbeit noch immer 
billig ist im Verhältnis zu der Mühe, die sie erfordert. 
Das Publikum würde dadurch Hochachtung vor der 
Arbeit gewinnen. 
Die Kunstgewerbemuseen, die gegründet wurden, 
um das Kunstgewerbe zu heben, demselben alte gute 
Vorbilder zu liefern, das Publikum zum Schönen zu er¬ 
ziehen, haben doch nicht den gewünschten Nutzen ge¬ 
bracht, sind vielmehr als kunsthistorische Sammlungen 
anzusehen, die den Gewerbetreibenden wenig nützen, da 
doch nachahmungswerte Gegenstände selten vorhanden 
sind, sondern nur zum allgemeinen Studium dienen 
können, es sei denn, daß Sonderausstellungen, zum Bei¬ 
spiel von Rahmen, Schmuckgegenständen, Zinngefäßen 
u. s. w. stattfinden, an die sich Vorträge anschließen.
	        
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